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Tausende Richter und Staatsanwälte in Spanien streiken gegen geplante Justizreform von Regierung

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In Spanien legen rund drei Viertel der im Staatsdienst tätigen Richterinnen, Richter und Staatsanwälte die Arbeit nieder. Der dreitägige Streik richtet sich gegen eine von Justizminister Félix Bolaños vorangetriebene Reform, die nach Ansicht der Juristen die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet.

Umfangreicher ausstand im spanischen justizwesen

Der Arbeitsausstand betrifft Tausende Juristinnen und Juristen in ganz Spanien. Nach Angaben der Berufsverbände beteiligen sich etwa 75 Prozent aller im öffentlichen Dienst beschäftigten Richterinnen, Richter und Staatsanwälte an dem Protest. Während des dreitägigen Streiks werden an Gerichten sowie bei den Staatsanwaltschaften ausschließlich Notdienste aufrechterhalten. Die Maßnahme ist eine Reaktion auf geplante Änderungen im spanischen Justizsystem, die von den Betroffenen als gravierende Gefährdung ihrer Unabhängigkeit angesehen werden.

Der oberste Justizrat Spaniens hatte den Streik zuvor für unrechtmäßig erklärt. Dennoch verteidigt María Jesús del Barco, Vorsitzende des mit 1 400 Mitgliedern größten Berufsverbands der Richterinnen und Richter Spaniens, das Vorgehen: „Aber manchmal muss man drastische Maßnahmen ergreifen.“ Die Protestierenden betonen ausdrücklich, dass es ihnen nicht um höhere Gehälter oder bessere Arbeitsbedingungen geht. Vielmehr richten sie ihren Widerstand gegen eine Reforminitiative der Regierung unter Leitung von Minister Félix Bolaños.

Die Kritik konzentriert sich insbesondere auf zwei Kernpunkte: Zum einen sollen die Zugangsvoraussetzungen für den Eintritt in den Staatsdienst vereinfacht werden. Zum anderen soll dem Generalstaatsanwalt sowie dessen Verfassungsorgan Fiscalía mehr Macht übertragen werden – insbesondere bei strafrechtlichen Ermittlungen und Verfahren.

Streitpunkte: zugangsvoraussetzungen und machtzuwachs des generalstaatsanwalts

Die geplanten Änderungen sehen vor, dass künftig weniger akademische Prüfungen erforderlich sind und stattdessen verstärkt Praxiserfahrung eingefordert wird. Diese Neuregelung stößt bei vielen streikenden Juristinnen und Juristen auf Ablehnung. Sie befürchten eine Absenkung der Qualitätsstandards innerhalb des Justizapparats sowie eine stärkere Politisierung durch Einflussnahme politischer Parteien beim Personaleinsatz.

Die Sorge besteht darin, dass politische Akteure künftig leichter willfähriges Personal einschleusen könnten – was langfristig zu einer Schwächung rechtsstaatlicher Prinzipien führen würde. María Jesús del Barco bezeichnete das Vorhaben als „ein Attentat auf den Rechtsstaat“.

Ein weiterer zentraler Kritikpunkt ist die Ausweitung der Kompetenzen des Generalstaatsanwalts gegenüber seiner Behörde Fiscalía – einem formal unabhängigen Organ zur Überwachung von Rechtmäßigkeit im Justizwesen sowie zum Schutz bürgerlicher Rechte gemäß Verfassung Spaniens.

Hierarchien und potenzielle gefahren

Obwohl aus deutscher Perspektive Strafverfolgung üblicherweise Aufgabe unabhängiger Staatsanwaltschaften ist, besitzt die Fiscalía hierarchische Strukturen mit einem vom jeweiligen Regierungschef ernannten Generalstaatsanwalt an ihrer Spitze. Diese Ernennungspraxis wird als potenzielle Gefahr für die institutionelle Unabhängigkeit gewertet.

Die streikenden Verbände warnen davor, dass ein mächtiger Generalstaatsanwalt Ermittlungen beeinflussen könnte – besonders wenn diese politischen Interessen widersprechen sollten: „Wer die Fiscalía kontrolliert, kontrolliert die Korruption“, heißt es seitens der Protestierenden immer wieder.

Herausforderungen im spanischen gerichtswesen

Neben grundsätzlichen Bedenken bezüglich politischer Einflussnahme räumen auch viele Beteiligte ein, dass das spanische Justizsystem Verbesserungen benötigt. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl gibt es vergleichsweise wenige berufliche Richterinnen und Richter; aktuell sind zwölf pro 100 000 Einwohner tätig – deutlich unter dem EU-Durchschnitt.

Zudem arbeiten derzeit über 1 000 befristet angestellte Aushilfsrichterinnen und -richter in Spanien; dieser Zustand hat bereits Kritik seitens europäischer Institutionen hervorgerufen wegen mangelnder Kontinuität sowie Qualitätssicherung innerhalb des Systems.

Verfahren ziehen sich häufig über lange Zeiträume hin; beispielsweise dauern Prozesse um illegal besetzte Immobilien oft mehrere Jahre an ohne abschließendes Urteil oder Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen.

María Jesús del Barco berichtet: „Wir haben jahrelang um mehr Stellen gebeten.“ Allerdings fehlten stets sowohl finanzielle Mittel als auch politischer Wille zur Umsetzung entsprechender Maßnahmen seitens früherer Regierungen oder Behördenleitungen.

Im Rahmen der aktuellen Reform soll nun ein Großteil dieser Aushilfsrichter dauerhaft übernommen werden – was wiederum kritisiert wird als Bruch bisheriger Qualitätsmaßstäbe durch zu schnelle Integration ohne ausreichende Prüfung oder Ausbildung neuer Kollegenschaft laut Verbänden streikender Jurist*innen.

Politische dimensionen hinter dem juristischen konflikt

Justizminister Félix Bolaños zeigt sich entschlossen darin, seine Reformpläne zügig per Eilverfahren durchs Parlament zu bringen; er betonte vor Beginn des Streiks mehrfach: „Mit keiner Zeile werde ich die Unabhängigkeit unserer Gerichte mindern.“ Zugleich forderte er Kritiker dazu auf ihm konkrete Beispiele vorzulegen falls sie Gegenteiliges behaupteten.

Die führenden Vertreter fünf protestierender Berufsverbände weisen politische Motive zurück: Sergio Oliva vom Verband mit rund 1 000 Mitgliedern versichert glaubhaft: „Wäre diese Reform nicht von uns regierenden Parteien initiiert worden sondern etwa vom konservativen Partido Popular hätten wir genauso dagegen gestreikt.“

Auch andere Vorsitzende betonen ihre Neutralität hinsichtlich rechter oder linker Positionierungen innerhalb Spaniens Rechtsprecherschaft.

Dennoch zeigt sich angesichts langjähriger Politisierungstendenzen innerhalb des spanischen Rechtswesens ein komplexes Bild:

So unterstützen zwei selbst als „progressiv“ eingestufte Berufsverbände mit zusammen etwa 1 000 Mitgliedern ausdrücklich Teile jener Reformvorhaben,

während gleichzeitig konservative Oppositionsparteien wie Partido Popular öffentlich Solidarität mit den Streikenden bekunden.

Ein streikender Richter bringt diesen Widerspruch pointiert auf den Punkt:

„Mehr Kontrolle über unsere Gerichte will letztlich jede Regierung — egal welcher Couleur.“

Diese Aussage verdeutlicht Spannungen zwischen juristischen Selbstverwaltungsansprüchen einerseits sowie politischen Interessen andererseits in einem System tiefgreifender gesellschaftlicher Debatten um Rechtsstaatlichkeit in Spanien heute.

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