Der Christopher Street Day in Berlin-Marzahn wurde am 10. Juni 2023 von einem Aufeinandertreffen zwischen rund 50 jugendlichen Neonazis und etwa 1 000 Teilnehmern der queeren Parade geprägt. Die Veranstaltung zeigte die zunehmenden Spannungen zwischen rechtsextremen Gruppen und der LGBTQ+-Community in der Region.
Eskalation am rande des csd in marzahn
Am Samstagnachmittag versammelten sich gegen 15 Uhr etwa 50 junge Männer und Frauen hinter Absperrgittern im Berliner Ortsteil Marzahn-Mitte. Sie trugen Sweatshirts mit dem Logo von Lonsdale oder schwarze T-Shirts mit dem Schriftzug „Deutsche Jugend voran“, einer Organisation jugendlicher Neonazis. Während sie Parolen wie „Ob Ost, ob West – nieder mit der roten Pest“ skandierten, äußerte ein Ordner abfällige Bemerkungen über andere Gruppen: „Die anderen dürfen ihre Pädophilie ausleben.“
Auf der anderen Seite standen ungefähr 1 000 Teilnehmer des Christopher Street Days, die sich für Vielfalt und Akzeptanz einsetzten. Viele kamen in Lederkluft oder Bärenkostümen zum Umzug, andere trugen einfache T-Shirts und Jeans. Auf Schildern war unter anderem zu lesen: „It’s ok to be gay“ sowie „Sei Du selbst“. Kurz vor dem Zusammentreffen mahnte einer der Redner des CSD zur Zurückhaltung: „Wir lassen uns nicht provozieren. Wir ignorieren die. Das wird schon gut gehen.“
Die Polizei hatte an dieser Stelle Polizeifahrzeuge als Sperre aufgebaut, um direkte Konfrontationen zu verhindern. Mehrere Mannschaftswagen begleiteten den Umzug vorne und hinten; auch Vierergruppen von Polizisten waren innerhalb der Parade präsent.
Queere pride-events als symbole eines kulturkampfes
Der Vorfall in Marzahn ist Teil eines größeren Musters gewalttätiger Störungen bei Pride-Veranstaltungen im Osten Deutschlands sowie angrenzenden Regionen geworden. Neben Berlin fanden am selben Tag weitere CSD-Events statt: In Potsdam versammelte sich die queere Community zum dritten Mal zur Fahrrad-Pride, während rund 2 000 Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz von Eberswalde eine Parade starteten.
Diese Veranstaltungen markieren den Abschluss sogenannter „queerer Wochen“, die Anfang Juni begonnen hatten – ursprünglich festlich geplant, haben sie sich zunehmend zu Demonstrationen des Widerstands entwickelt.
Angriff nahe bad freienwalde
Erst wenige Tage zuvor kam es nahe Eberswalde zu einem Angriff auf ein Sommerfest für Vielfalt in Bad Freienwalde: Etwa ein Dutzend Vermummter stürmten den Marktplatz mit Holzlatten bewaffnet und verletzten zwei Teilnehmer schwer im Gesicht. Erste Ermittlungen ergaben Verbindungen eines Tatverdächtigen zur neonazistischen Kleinstpartei „Der Dritte Weg“.
Solche Angriffe verdeutlichen das wachsende Problem gewaltbereiter Rechtsextremisten, die gezielt Feste für Vielfalt oder Pride-Paraden stören wollen.
Rechtsextreme störaktionen treffen gesellschaftliche spannungen
Die Störungen durch militante Rechtsextremisten spiegeln auch politische Spannungen wider: In Eberswalde erreichte die AfD bei der Bundestagswahl über 30 Prozent Stimmenanteil; Anfang Juni scheiterte ihr Antrag gegen das Hissen von Regenbogenflaggen an öffentlichen Gebäuden unter dem Motto „Schwarz-Rot-Gold ist bunt genug“. Stattdessen organisierte sie zeitgleich zur CSD-Demo eine Gegenveranstaltung unter dem Titel „Keine Frühsexualisierung von Kindern und gegen Indoktrination“.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, SPD, äußerte angesichts steigender Gewalt gegenüber Pride-Veranstaltungen klare Worte auf dem Landesparteitag seiner Partei: „Wir müssen die Menschen schützen, die sich für Freiheit und Demokratie engagieren.“ Dennoch berichten Aktivisten immer wieder davon, dass Behörden ihnen nicht ausreichend Schutz bieten würden.
So bezeichnete Ralf Lehmann , Bürgermeister von Bad Freienwalde nach dem Überfall lediglich eine „Störung“. Er relativierte das Geschehen trotz Videoaufnahmen brutaler Angriffe durch vermummte Täter gegenüber Medienvertretern wie dem RBB.
In Reaktion darauf schicken manche Veranstalter ihre Ordner inzwischen auf Schulungen zur Gefahrenabwehr – eine Maßnahme angesichts unzureichender polizeilicher Absicherung bei früheren Events.
Polizei reagiert verstärkt auf bedrohungslage beim csd eberswalde
Für den CSD am Samstag erklärte das Polizeipräsidium Brandenburg Ost bereits Mitte der Woche vorab seine starke Präsenzplanung für Eberswalde; mehr als zwanzig Einsatzwagen waren vor Ort sichtbar vertreten. Auch Brandenburgs Polizeipräsident Oliver Stepien begleitete persönlich den Einsatzgeschehen am Bahnhofsplatz.
Ähnliche Sicherheitsvorkehrungen gab es beim Berliner Umzug in Marzahn-Mitte mit mehreren Mannschaftswagen an Start- sowie Endpunkt des Zuges sowie Streifenpolizisten innerhalb des Demonstrationszuges selbst.
Trotz dieser Maßnahmen bleibt das Klima angespannt: Mehrere Teilnehmer betonten ihre Solidarität mit Betroffenen rechter Gewalt während ihrer Teilnahme am CSD-Marathonlauf durch Marzahn-Mitte – darunter auch Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe, SPD sowie Vertreterinnen anderer Parteien wie Grüne oder Linke.
Ein Mann mittleren Alters berichtete aus eigener Erfahrung vom Wandel seiner Einstellung zum Event: Früher habe er nur vom Fenster aus zugeschaut; diesmal wolle er aktiv dabei sein – denn „wir haben uns schon gewisse Rechte erkämpft, die dürfen wir nicht so einfach hergeben.“ Gleichzeitig beklagte er jedoch einen gedämpften Tonfall aufgrund wachsender Angst unter Teilnehmenden: „Das Schlimme ist, dass man wieder Angst haben muss.“
Diese Entwicklungen verdeutlichen einen Kulturkampf um öffentliche Räume zwischen demokratischen Freiheitsrechten einerseits sowie aggressiven Versuchen rechter Gruppierungen andererseits — insbesondere im Kontext regionaler politischer Verschiebungen im Osten Deutschlands.