Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass das Merkzeichen „G“ für erhebliche Mobilitätseinschränkungen auch bei einem Grad der Behinderung unter 50 vergeben werden kann. Die Entscheidung betrifft insbesondere Antragsteller, deren funktionelle Einschränkungen die Mobilität im öffentlichen Raum deutlich beeinträchtigen.
Hintergrund und verfahrensgang im fall des klägers aus berlin
Im Mittelpunkt des Verfahrens stand ein Kläger, geboren 1950, der gegen die Ablehnung des Merkzeichens „G“ durch die zuständige Behörde klagte. Das Sozialgericht Cottbus hatte den Antrag zunächst abgelehnt mit der Begründung, dass kein Einzel-GdB von mindestens 50 aufgrund von Beeinträchtigungen an den unteren Gliedmaßen oder der Wirbelsäule vorliege. Diese Entscheidung basierte auf einer rein zahlenorientierten Bewertung ohne Berücksichtigung funktioneller Einschränkungen.
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hob diese Entscheidung auf und stellte klar: Nicht allein der GdB-Wert ist maßgeblich, sondern die tatsächliche Auswirkung der Erkrankung auf das Gehvermögen im öffentlichen Raum. Der Kläger konnte aufgrund eines mehrfach operierten linken Knies nur noch eine Strecke von weniger als zwei Kilometern in einer halben Stunde zurücklegen – eine Wegstrecke, die laut Bundessozialgericht als ortsüblich gilt und somit den Maßstab für Mobilitätsbeeinträchtigungen darstellt.
Die Richter am LSG bestätigten rückwirkend ab dem 20. April 2010 das Merkzeichen „G“. Damit wurde erstmals anerkannt, dass auch bei einem Gesamt-GdB unterhalb von 50 erhebliche funktionelle Einschränkungen vorliegen können, welche eine Zuerkennung rechtfertigen.
Medizinische bewertung und rechtliche grundlagen zur mobilitätseinschränkung
Entscheidend für das Urteil war ein medizinisches Gutachten, welches belegte, dass beim Kläger aufgrund einer instabilen Kniegelenksituation dauerhafte Gang- und Standunsicherheiten bestehen. Diese Situation wurde vom Sachverständigen mit einem Einzel-GdB von 40 bewertet und funktionell einer Teilversteifung gleichgesetzt.
Die Rechtsprechung betont seit langem die sogenannte ortsübliche Wegstrecke als zentralen Bewertungsmaßstab für Mobilitätsbeeinträchtigungen im Straßenverkehr. Laut Bundessozialgericht darf diese nicht allein anhand eines Gesamt-GdB beurteilt werden; vielmehr sind konkrete Funktionsstörungen ausschlaggebend.
Das Merkzeichen „G“ wird gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vergeben bei erheblichen Beeinträchtigungen der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr – vorausgesetzt es besteht eine doppelte Kausalität zwischen anerkannter Behinderung und Gehbehinderung. Alter oder Trainingsmangel dürfen dabei keine Rolle spielen.
Diese differenzierte Betrachtungsweise stellt sicher, dass Menschen mit komplexen gesundheitlichen Problemen trotz niedrigerer GdB-Werte angemessen berücksichtigt werden können.
Gesetzliche voraussetzungen im überblick
- Nachweisbare Gehbehinderung infolge anerkannter Behinderungsursachen
- Doppelte Kausalität zwischen Gesundheitsstörung und Bewegungseinschränkung
- Orientierung an objektiven Kriterien wie etwa der ortsüblichen Wegstrecke
Folgen des urteils für menschen mit mobilitätseinschränkungen
Das Urteil hat weitreichende Bedeutung für Betroffene: Es beseitigt starre Schwellenwerte beim Grad der Behinderung zugunsten einer individuellen Funktionsbewertung. Menschen mit mehreren gesundheitlichen Einschränkungen können nun auch dann Anspruch auf das Merkzeichen „G“ haben, wenn kein einzelner GdB-Wert über 50 erreicht wird – sofern ihre Bewegungsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist.
Mit dem Merkzeichen sind verschiedene Vorteile verbunden: kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel , Reduktion der Kfz-Steuer um bis zu 50 Prozent sowie mögliche Befreiung von Parkregelungen im Straßenverkehr.
Für viele bedeutet dies mehr Selbstständigkeit sowie gesellschaftliche Teilhabe unabhängig vom formalen Gesamtgrad ihrer Behinderung. Das Gericht wendet sich damit gegen enge Auslegungen durch manche Versorgungsämter und stärkt den Schutz vulnerabler Gruppen in Deutschland nachhaltig.
Betroffene sollten sich fachärztlich beraten lassen sowie ihre tatsächlichen Wegstrecken dokumentieren; bei Ablehnung empfiehlt sich Widerspruch oder Klage zur Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber Behörden.
Praxisbeispiel knieerkrankung verdeutlicht entscheidende kriterien
Der Fall zeigt exemplarisch wie komplexe Kniegelenkerkrankungen zu erheblichen Mobilitätsproblemen führen können: Der Kläger litt unter mehreren Operationen inklusive Implantatwechseln sowie Infektionen am linken Kniegelenk; daraus resultierte eine dauerhafte Instabilität mit Gangunsicherheit vergleichbar einer Teilversteifung.
Der Sachverständige bewertete diesen Zustand medizinisch präzise mit einem Einzel-GdB von 40 – deutlich unterhalb eines klassischen Schwellenwertes –, was jedoch ausreichte, um erhebliche Bewegungseinschränkungen festzustellen. Das Gericht folgte dieser Einschätzung konsequent zugunsten des Klägers trotz zuvor ablehnender Verwaltungsentscheidung durch das Sozialgericht Cottbus.
Zusammenfassung rechtlicher rahmenbedingungen zum merkzeichen g
Das Merkzeichen „G“ kennzeichnet Personen mit erheblicher Beeinträchtigung ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Die Zuerkennung setzt voraus:
- Nachweisbare Gehbehinderung infolge anerkannter Behinderungsursachen
- Erfüllung sogenannter doppelter Kausalität zwischen Gesundheitsstörung und Bewegungseinschränkung
- Bewertung anhand objektiver Kriterien wie etwa ortsüblicher Wegstrecke
Diese gesetzlichen Vorgaben gewährleisten einen fairen Ausgleich zwischen formalem Grad der Behinderung und realer Alltagsfunktionalität Betroffener.
Damit stärkt das aktuelle Urteil nicht nur individuelle Rechte, sondern trägt zur Weiterentwicklung sozialrechtlicher Standards in Deutschland bei – insbesondere hinsichtlich inklusiver Mobilitätsförderung aller Bürgerinnen und Bürger unabhängig vom jeweiligen Gesundheitsstatus oder Alter ihres Wohnortsystems innerhalb Deutschlands.