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Ersatzfreiheitsstrafe in deutschland: armut als hauptursache für haft wegen nicht gezahlter geldstrafen

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In Deutschland verbüßen jährlich rund 50 000 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe, weil sie Geldstrafen nicht begleichen können. Besonders betroffen sind Personen, die von Armut betroffen sind und häufig wegen Bagatelldelikten wie Schwarzfahren oder kleinem Diebstahl verurteilt wurden.

Ersatzfreiheitsstrafe als folge unbezahlter geldstrafen bei armutsbetroffenen

Die Ersatzfreiheitsstrafe wird verhängt, wenn eine Geldstrafe trotz mehrfacher Mahnungen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht bezahlt wird. In Deutschland betrifft dies etwa zehn Prozent aller Gefangenen – rund 50 000 Menschen jährlich. Besonders hoch ist der Anteil in Städten wie Berlin, wo im Jahr 2022 über 28 Prozent der Haftenden eine solche Strafe absitzen mussten. Diese Form der Freiheitsentziehung trifft vor allem Menschen, die finanziell benachteiligt sind.

Ursprünglich werden die Geldstrafen meist wegen Bagatelldelikten verhängt. Dazu zählen insbesondere mehrfaches Schwarzfahren im öffentlichen Nahverkehr sowie kleinere Diebstähle von Lebens- oder Genussmitteln. Diese Delikte spiegeln oft prekäre Lebenssituationen wider und führen dazu, dass Betroffene ihre Strafen nicht bezahlen können.

Die Ersatzfreiheitsstrafe soll eigentlich nur dann angewendet werden, wenn alle anderen Maßnahmen zur Eintreibung der Geldbuße erfolglos bleiben – also auch Pfändungen des Einkommens oder Kontos scheitern. Wenn Betroffene zudem keine Zahlungserleichterungen annehmen oder den Betrag anderweitig abarbeiten wollen, erfolgt die Ladung zum Haftantritt in einer Justizvollzugsanstalt.

Diese Praxis führt dazu, dass viele langzeitarbeitslose Personen sowie psychisch Kranke, Suchtbelastete oder Obdachlose inhaftiert werden. Nach Angaben der Berliner Justizverwaltung haben etwa 40 Prozent jener Häftlinge keinen festen Wohnsitz während ihrer Ersatzfreiheitsstrafe.

Die lage in berlin und anderen städten

Die hohe Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen in Berlin verdeutlicht das soziale Problem, das hier zugrunde liegt. Viele der Betroffenen verfügen weder über finanzielle Mittel noch über ein stabiles soziales Umfeld, das ihnen helfen könnte, die Geldstrafen zu bedienen.

Kritik an ersatzfreiheitsstrafen und reformbemühungen

Ersatzfreiheitsstrafen stehen seit Jahren in der Kritik von Politikern und Strafvollzugsbehörden gleichermaßen. Die Kosten für den Staat übersteigen häufig den Wert der ursprünglichen Geldbuße erheblich: In Berlin belaufen sich diese auf knapp 227 Euro pro Tag pro Häftling.

Der ehemalige Leiter der JVA Plötzensee, Uwe Meyer-Odewald, fordert eine Überprüfung der Schuldfähigkeit vieler Betroffener vor Verhängung einer Haftstrafe: „Viele haben die Kontrolle über ihr Leben verloren und gehören eigentlich nicht in den Strafvollzug.“ Das derzeitige System sieht jedoch bei Bagatellvergehen keine mündliche Verhandlung vor; insbesondere das Verfahren bei Schwarzfahren läuft meist per Strafbefehl ohne Anhörung des Angeklagten ab.

Die Vereinigung Hessischer Strafverteidiger*innen setzt sich mit einem Pilotprojekt dafür ein, Verteidigungsrechte auch im Strafbefehlsverfahren zu verankern. Ziel ist es, durch wissenschaftliche Auswertung dieses Projekts Gesetzesinitiativen vorzubereiten.

Bundesweite Reformversuche zur Abschaffung dieser Strafe blieben bislang erfolglos; eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe sprach sich zuletzt für deren Beibehaltung aus – als Druckmittel zur Vollstreckung von Geldstrafen gilt sie weiterhin als notwendig.

Auch Meyer-Odewald hält zwar Entkriminalisierung bestimmter Delikte wie Schwarzfahren für sinnvoll; er warnt jedoch davor, die Ersatzfreiheitsstrafe komplett abzuschaffen: „Wenn es das System nicht gäbe, würde wahrscheinlich niemand mehr seine Geldstrafe bezahlen.“

Pilotprojekte zur vermeidung von ersatzfreiheitsstrafen

Um Alternativen zu finden und unnötige Haft zu vermeiden startete die Berliner Staatsanwaltschaft vor zwei Jahren ein Pilotprojekt mit Polizei sowie Justizvollzugsanstalten und Gerichtshilfe. Sozialarbeiter nehmen dabei bereits vor Anklageerhebung Kontakt zu Beschuldigten auf und prüfen deren Lebensumstände ausführlich – gegebenenfalls erstellen sie Gutachten zur Situation Betroffener.

Ziel ist es unter anderem herauszufinden, ob Briefe zugestellt werden können oder ob persönliche Gerichtsverhandlungen notwendig sind. So soll im Rahmen einer Hauptverhandlung eine angemessene Strafe gefunden werden – beispielsweise eine tatsächlich bezahlbare Geldbuße angepasst an individuelle Möglichkeiten.

Ob das Projekt langfristig Ersatzfreiheitsstrafen reduziert bleibt abzuwarten; derzeit läuft noch die Evaluation dieser Maßnahmen durch beteiligte Stellen wie Sebastian Büchner von der Berliner Staatsanwaltschaft.

Similar Projekte gibt es auch außerhalb Berlins: In Niedersachsen bieten Anlaufstellen für Straffällige Ratentilgungsprogramme an mit verlässlicher Überweisung vereinbarter Raten an Staatsanwaltschaften. Laut eigenen Angaben schließen dort rund 90 Prozent aller Teilnehmenden erfolgreich ab und entgehen so negativen Folgen einer Inhaftierung aufgrund unbezahlter Strafen.

Freiheit statt haft: spendenfinanzierte initiativen gegen ersatzfreiheitshaft

Das spendenfinanzierte Projekt Freiheitsfonds kauft seit dreieinhalb Jahren Menschen frei aus dem Gefängnis ein – hauptsächlich jene mit Haft wegen Schwarzfahrens infolge unbezahlter Geldbußen. Rechtlich möglich ist dies deshalb, weil das Gesetz keine Vorgabe macht; darüber trifft letztendlich Zahlungsverpflichtung, besteht nach Tilgung sofort Freiheitserlangung durch Freikauf; erfolgt somit unmittelbar nach Begleichung des Betrags durch Initiative selbst finanzierter Fonds.

Nach eigenen Angaben hat Freiheitsfonds bisher fast 1 400 Personen freigekauft. Dabei konnten dem Staat fast zwanzig Millionen Euro Kosten gespart werden. Langfristiges Ziel des Projektes besteht darin, fahren ohne Ticket bundesweit zu entkriminalisieren.

Bereits mindestens dreizehn deutsche Kommunen haben diesen Schritt vollzogen, indem entsprechende Ordnungswidrigkeiten abgeschafft wurden. Damit sollen soziale Härten verringert, Gefängnisaufenthalte vermieden sowie Ressourcen effizienter eingesetzt werden.

Solche Initiativen zeigen alternative Wege auf, um gesellschaftliche Probleme rund um Armut, Kleinstdelikte sowie strafrechtliche Sanktionen neu zu denken. Sie ergänzen politische Debatten um Reformansätze jenseits klassischer Vollstreckungsmethoden.

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