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Sozialamt darf bei Verzicht auf Grundsicherung im Alter und Erwerbsminderung Hilfe zum Lebensunterhalt nicht versagen

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Das Sozialgericht Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass das Sozialamt einem Leistungsberechtigten die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht verweigern darf, wenn dieser auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung verzichtet. Hintergrund ist der Wunsch des Betroffenen, keine Gesundheitsprüfung mit Offenlegung seiner medizinischen Daten vorzunehmen.

Rechtliche grundlagen zur grundsicherung und hilfe zum lebensunterhalt

Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist im vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches XII geregelt. Sie wurde 2003 als eigenständiges Gesetz eingeführt und ab 2005 in das SGB XII integriert. Ziel war es, verdeckte Altersarmut zu vermeiden sowie den Unterhaltsrückgriff auf Angehörige weitgehend auszuschließen. Dadurch sollten mehr Menschen Leistungen erhalten können, ohne dass Kinder oder andere Angehörige finanziell belastet werden.

Die Hilfe zum Lebensunterhalt stellt eine weitere Leistung der Sozialhilfe dar, die unabhängig von der Grundsicherung gewährt wird. Allerdings besteht kein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen ohne einen wirksamen Antrag nach dem vierten Kapitel SGB XII. Die Gewährung erfolgt ausschließlich auf Antrag; ein automatischer Wechsel von der Hilfe zum Lebensunterhalt zur Grundsicherung durch das Amt ist ausgeschlossen.

Vorrang der grundsicherung

Das Bundesozialgericht hat in mehreren Urteilen klargestellt, dass die Leistungen der Grundsicherung zwar vorrangig sind vor anderen Hilfen wie der Hilfe zum Lebensunterhalt. Dieser Vorrang greift jedoch nur dann ein, wenn tatsächlich ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen besteht – also insbesondere ein wirksamer Antrag gestellt wurde.

Urteil des landessozialgerichts nordrhein-westfalen vom 10.06.2025

Der neunte Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen entschied am 10. Juni 2025 , dass das Sozialamt einem Leistungsberechtigten nicht die Hilfe zum Lebensunterhalt versagen darf, wenn dieser aus Gründen des Datenschutzes keine Gesundheitsprüfung mit Offenlegung seiner medizinischen Daten wünscht und deshalb keinen Antrag auf Grundsicherungsleistungen stellt.

Im konkreten Fall hatte das Sozialamt zunächst eine Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII erteilt und diese später zugunsten einer Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt geändert. Begründet wurde dies damit, dass weder die Altersgrenze für die Altersgrundsicherung noch eine dauerhafte volle Erwerbsminderung festgestellt worden seien.

Das Amt forderte den Betroffenen mehrfach zur Mitwirkung an einer medizinischen Begutachtung durch die Rentenversicherung gemäß § 45 SGB XII auf – ohne Erfolg. Daraufhin versagte es ihm wegen fehlender Mitwirkungshandlungen Leistungen für den Lebensunterhalt.

Das Gericht stellte klar: Der Versagungsbescheid sei rechtswidrig gewesen; dem Leistungsberechtigten stehe weiterhin Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt zu – auch ohne Antrag oder Anspruch auf Grundsicherung nach dem vierten Kapitel SGB XII.

Bedeutung für leistungsberechtigte personen und sozialämter

Diese Entscheidung bestätigt ausdrücklich den Schutz personenbezogener Gesundheitsdaten gegenüber behördlichen Prüfungen im Rahmen sozialrechtlicher Verfahren zur Sicherung des Existenzminimums älterer oder erwerbsgeminderter Menschen.

Leistungsberechtigte können somit selbst entscheiden, ob sie einen Antrag stellen wollen oder nicht – insbesondere dann, wenn sie eine umfassende gesundheitliche Überprüfung ablehnen möchten beziehungsweise sich gegen eine Offenlegung ihrer medizinischen Daten wehren wollen.

Für Sozialämter bedeutet dies Einschränkungen bei Versagungen aufgrund fehlender Mitwirkung an Gesundheitsprüfungen: Eine solche Weigerung berechtigt nicht automatisch dazu, Hilfsleistungen zu verweigern oder einzustellen – solange kein wirksamer Antrag vorliegt bzw. kein tatsächlicher Anspruch besteht.

Zudem unterstreicht das Urteil erneut den Unterschied zwischen verschiedenen Formen sozialer Unterstützung: Die Leistungspflicht aus der „Hilfe zum Lebensunterhalt“ bleibt bestehen unabhängig davon ob gleichzeitig Ansprüche aus der „Grundsicherung“ geltend gemacht werden können oder nicht.

Gesetzgeberische entwicklung beim unterhaltsrückgriff in sozialen leistungen

Ursprünglich sollte mit Einführung der eigenständigen Regelungen zur Grundsicherung im Jahr 2003 vor allem verhindert werden, dass Angehörige finanziell belastet werden müssen . Dies führte dazu, dass diese Form von Leistung weitgehend frei vom Rückgriff blieb – anders als klassische Formen staatlicher Fürsorge zuvor üblich waren.

Seit dem Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungs-Gesetzes am 1. Januar 2020 gilt dieser Ausschluss nunmehr auch für alle anderen Leistungen nach dem SGB XII . Damit entfällt inzwischen auch formal gesehen zwingend notwendigerweise ein besonderer Schutz nur für Personen mit Anträgen zur Grundsicherung; vielmehr profitieren alle Empfänger sozialhilferechtlicher Leistungen gleichermaßen vom Ausschluss eines Unterhaltsanspruches gegen ihre Kinder oder andere Verwandte.

Fazit aus rechtsprechung und praxis für anspruchsteller sozialhilfe

Die Entscheidung zeigt deutlich: Ein Verzicht zugunsten einer Nichtbeantragung von Grundsicherungsleistungen führt keinesfalls automatisch zu einem Verlust anderer existenzsichernder Unterstützungen wie etwa „Hilfe zum Lebensunterhalt“. Vielmehr bleibt hier stets individuell abzuwägen unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Aspekte sowie persönlicher Umstände hinsichtlich Gesundheitssituation sowie Kooperationswillen gegenüber Behördenverfahren.

Der Widerspruch gegen einen Bescheid über Versagung hat zudem grundsätzlich immer Aufschiebewirkung , sodass Betroffene während laufender Verfahren weiterhin abgesichert bleiben.

Diese Rechtsprechung stärkt somit sowohl Datenschutzrechte als auch soziale Sicherheit älterer beziehungsweise erwerbsgeminderter Menschen innerhalb komplexer Verwaltungsprozesse.

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