Das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschied am 22. Mai 2025, dass die Rentenversicherung selbst prüft, ob eine nicht erwerbsmäßige Pflegeperson versicherungspflichtig ist. Einschätzungen des Medizinischen Dienstes sind für den Rentenversicherungsträger nicht bindend.
Rechtliche grundlagen und entscheidung des landessozialgerichts
Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Mai 2025 betrifft die Versicherungspflicht von pflegenden Angehörigen gegenüber der Deutschen Rentenversicherung. Im konkreten Fall ging es um einen Sohn, der seine Mutter in den Jahren 2016 und Anfang 2017 zu Hause gepflegt hatte. Die Pflegekasse lehnte eine Versicherungspflicht ab und berief sich dabei auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes , das keine Pflicht zur Rentenversicherung feststellte.
Das Sozialgericht hatte diese Ablehnung bestätigt, doch das LSG hob dieses Urteil teilweise auf: Für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 28. Februar 2017 stellte es eine Versicherungspflicht fest, während für das Jahr 2016 weiterhin keine Pflicht anerkannt wurde. Entscheidend war dabei nicht die Bindung an das MD-Gutachten, sondern die eigenständige Prüfung durch den Rentenversicherungsträger anhand der gesetzlichen Vorgaben.
Die Entscheidung verdeutlicht, dass der Medizinische Dienst zwar als Beweismittel dient, jedoch keine verbindliche Feststellung darstellt. Die Deutsche Rentenversicherung muss demnach selbst prüfen und entscheiden, ob alle Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht erfüllt sind – unabhängig von externen Gutachten.
Diese Klarstellung stärkt pflegende Angehörige erheblich: Sie können ihre Ansprüche auch gegen negative MD-Einstufungen durchsetzen und damit Beiträge sowie spätere Rentenanwartschaften sichern – gegebenenfalls auch rückwirkend für bereits vergangene Zeiträume.
Veränderte gesetzliche voraussetzungen seit januar 2017
Ein wesentlicher Wendepunkt liegt im Gesetzesänderungszeitraum zum Jahresbeginn 2017: Ab dem 1. Januar 2017 wurde der Pflegebedürftigkeitsbegriff erweitert und präzisiert; Betreuungs- sowie Unterstützungsleistungen werden seitdem stärker berücksichtigt als zuvor.
Zudem sank die Mindestpflegezeit deutlich: Während vor dem Stichtag mindestens 14 Stunden pro Woche erforderlich waren – verteilt auf beliebig viele Tage –, gilt seitdem eine Grenze von mindestens 10 Stunden wöchentlich, verteilt auf mindestens zwei Tage bei Pflegegrad 2 oder höher.
Diese Anpassung erklärt auch die unterschiedliche Bewertung im Fall des Klägers aus Baden-Württemberg: Seine Pflegetätigkeit erfüllte erst ab Januar 2017 die neuen Kriterien zur Versicherungspflicht; davor reichte sie nicht aus.
Die Deutsche Rentenversicherung orientiert sich an diesen gesetzlichen Schwellenwerten . Neben der Mindeststundenzahl ist zudem Voraussetzung, dass die Pflege unentgeltlich in häuslicher Umgebung erfolgt und keine Erwerbstätigkeit mit mehr als 30 Wochenstunden ausgeübt wird.
Damit hat sich insbesondere für Personen mit geringfügigerer Pflegetätigkeit oder geteilten Pflegenutzung ein verbesserter Zugang zu Beitragszeiten ergeben – was langfristig Auswirkungen auf spätere Altersrenten haben kann.
Wichtige gesetzliche regeln im überblick
- Mindestpflegezeit vor 2017: 14 Stunden pro Woche
- Mindestpflegezeit ab 2017: mindestens 10 Stunden wöchentlich, auf mindestens zwei Tage verteilt
- Pflegegrad: nur Pflegegrad 2 oder höher berücksichtigt
- Pflege muss unentgeltlich in häuslicher Umgebung erfolgen
- Erwerbstätigkeit darf 30 Wochenstunden nicht überschreiten
Praktische empfehlungen zur durchsetzung von rentenanwartschaften
Pflegende Angehörige sollten ihre tatsächlichen Einsätze sorgfältig dokumentieren: Kalenderaufzeichnungen über tägliche Tätigkeiten inklusive Uhrzeiten sowie Nachweise über Arzt-, Therapie- oder Behördentermine helfen bei einer glaubwürdigen Darstellung gegenüber dem Rententräger.
Wichtig ist es zudem zu wissen, dass kein Antrag notwendig ist; sobald alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, tritt die Versicherungspflicht automatisch ein – allerdings muss dies vom Träger geprüft werden können.
Weichen MD-Gutachten von der Realität ab oder lehnt der Träger Beiträge ab, empfiehlt sich ein Widerspruch gegen entsprechende Bescheide innerhalb vorgegebener Fristen einzulegen und gegebenenfalls Klage einzureichen. Das LSG betont ausdrücklich seine Auffassung einer eigenständigen Prüfung durch den Versicherer ohne Bindung an externe Gutachtenbewertungen.
Für Zeiträume vor dem Jahreswechsel 31./32. Dezember 2016 gilt weiterhin strengere Maßgabe mit mindestens 14 Stunden wöchentlicher Pflegezeit ohne Berücksichtigung reduzierter Betreuungsleistungen; hier lohnt sich ebenfalls eine genaue Überprüfung vorhandener Nachweise bei Zweifeln an korrekter Einstufung durch MD bzw. Pflegekasse.
Insgesamt stärkt dieses Urteil pflegende Angehörige darin, ihre Rechte aktiv wahrzunehmen, um fehlende Beitragszeiten nachträglich geltend machen zu können. Eine umfassende Dokumentation bildet dafür oft entscheidendes Fundament.
Zusammenfassung wichtiger rechtsgrundlagen und auswirkungen
Die Grundlage für Versicherungsverpflichtungen liegt im Sozialgesetzbuch VI . Dort sind neben Mindestpflegezeit, Verteilung auf mehrere Tage sowie erforderlichem Pflegegrad auch Ausschlusskriterien wie Erwerbstätigkeitsumfang geregelt.
Sozialgerichte ordnen Bewertungen des Medizinischen Dienstes als vorbereitende Verfahrenshandlungen ein; diese entfalten jedoch keine unmittelbare Bindungswirkung gegenüber Entscheidungen über Versicherungsverpflichtungen.
Für viele Bürgerinnen und Bürger mit ergänzendem Bezug etwa von Bürgergeld, Rente oder Schwerbehindertenstatus bedeutet dies konkret: Wer neben Berufstätigkeit oder Leistungsbezug Angehörige zuhause betreut, kann dadurch eigene Anwartschaften sichern.
Das aktuelle Urteil erleichtert Korrekturen bei fehlerhaften Einstufungen zugunsten pflegender Personen. Es erhöht somit Chancen auf Beitragszahlungen, welche später messbar Einfluss etwa auf Altersrenten haben können.
Pflegepersonen sollten daher regelmäßig prüfen, ob sie Anspruchsvoraussetzungen erfüllen; insbesondere seit Einführung neuer Kriterien Anfang Januar 2017. Bei Unsicherheiten empfiehlt sich frühzeitiger Kontakt zur Deutschen Rentenversicherung zwecks individueller Beratung.
Dieses Rechtsverständnis trägt dazu bei, soziale Absicherung trotz familiärer Belastung besser gewährleisten zu können.