In Nordrhein-Westfalen müssen rund 90 000 Bedarfsgemeinschaften monatlich einen Teil ihrer Mietkosten aus dem Regelsatz oder Ersparnissen begleichen. Besonders schwerbehinderte Menschen sind von dieser Wohnkostenlücke betroffen, da barrierefreier Wohnraum knapp und oft teurer als die kommunalen Richtwerte ist.
Wohnkostenbelastung in nordrhein-westfalen: zahlen und hintergründe
In Nordrhein-Westfalen sind etwa zwölf Prozent der Haushalte mit anerkannten Unterkunftskosten von Eigenanteilen bei der Miete betroffen. Das entspricht rund 90 000 Bedarfsgemeinschaften, die im Durchschnitt über 100 Euro monatlich zusätzlich aufbringen müssen. In Städten wie Düsseldorf oder Mülheim an der Ruhr steigt diese Lücke häufig auf bis zu 150 Euro an. Für viele Betroffene bedeutet dies eine erhebliche finanzielle Belastung.
Schwerbehinderte Menschen trifft diese Situation besonders hart. Barrierefreier Wohnraum ist knapp verfügbar und meist teurer als die kommunalen Mietobergrenzen erlauben. Wohnungen mit breiteren Türen, Aufzügen, bodengleichen Duschen oder ebenerdigem Zugang sowie ausreichend Platz für Hilfsmittel sind selten innerhalb der pauschalen Mietobergrenzen zu finden.
Zusätzlich benötigen viele Schwerbehinderte ein stabiles Versorgungsnetzwerk in unmittelbarer Nähe – etwa Arztpraxen, Therapieeinrichtungen, Assistenzdienste oder barrierefreie öffentliche Verkehrsmittel . Ein Umzug in günstigere Wohnungen ist daher oft unzumutbar oder schlicht unmöglich.
Die kommunalen Richtwerte basieren häufig auf veralteten Bestandsmieten und spiegeln nicht die aktuellen Angebotsmieten wider. Diese Diskrepanz führt zur sogenannten Wohnkostenlücke: Die tatsächlichen Kosten entsprechen den realen Marktpreisen, während die Angemessenheitsgrenze lediglich theoretisch bleibt.
Gesetzliche regelungen zur übernahme von kosten der unterkunft
Im Rahmen des Bürgergeldes sowie der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung werden Kosten für Unterkunft und Heizung grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen – sofern sie angemessen sind. Die Definition dessen obliegt den Kommunen durch festgelegte Mietobergrenzen.
Diese Obergrenzen müssen auf einem nachvollziehbaren Konzept beruhen, das methodisch fundiert ist sowie aktuelle Daten des lokalen Wohnungsmarktes berücksichtigt. In der Praxis treten jedoch mehrere Probleme auf:
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Erstens liegen viele Richtwerte unterhalb realer Angebotsmieten; dadurch entsteht automatisch eine Unterdeckung für Betroffene mit besonderen Bedürfnissen wie mehr Fläche für Hilfsmittel oder barrierearme Grundrisse.
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Zweitens bleiben Sonderbedarfe oft unberücksichtigt: Ein separates Zimmer für Assistenzkräfte wird nicht immer anerkannt trotz behinderungsbedingtem Mehrbedarf.
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Drittens erhalten Personen oberhalb dieser Grenzen standardisierte Kostensenkungsaufforderungen mit Fristen zum „Sparen“ oder „Umziehen“. Für Schwerbehinderte stellt dies häufig eine unrealistische Forderung dar und erzeugt erheblichen Druck ohne praktikable Lösungsmöglichkeiten anzubieten.
Seit Einführung einer Karenzzeit durch die Bürgergeld-Reform werden kalte Wohnkosten im ersten Bezugsjahr grundsätzlich ohne Angemessenheitsprüfung anerkannt; Heizkosten bleiben davon ausgenommen beziehungsweise werden weiterhin geprüft. Im SGB XII existiert diese Karenzzeit nicht vergleichbar – nach Ablauf stellt sich erneut das Problem niedriger Richtwerte.
Folgen hoher eigenanteile für schwerbehinderte menschen
Ein Eigenanteil von durchschnittlich 120 Euro pro Monat klingt zunächst überschaubar; hochgerechnet fehlen jedoch jährlich rund 1 440 Euro an anderer Stelle im Budget vieler Betroffener. Diese Summe fehlt dann beispielsweise bei Pflege-Zuzahlungen, Schuhzurichtungen oder Fahrten zum Dialyse-Termin per Taxi ebenso wie beim Stromnachzahlen oder dringend benötigten Hilfsmittel-Upgrades.
Wer dauerhaft aus dem Regelsatz zuzahlen muss, gerät schnell in eine Abwärtsspirale finanzieller Einschränkungen: Es wird an Lebensmitteln gespart, wichtige Termine fallen aus und gesellschaftliche Teilhabe schrumpft zunehmend ein. Die daraus resultierenden sozialen Folgen treffen letztlich auch die Allgemeinheit – allerdings zeitverzögert mit höheren Folgekosten durch Ausgrenzungseffekte.
Die reale Belastung zeigt sich somit weit über reine Zahlen hinausgehend als Einschränkung elementarer Lebensbereiche schwerbehinderter Menschen aufgrund fehlender finanzieller Spielräume infolge unangemessener Mietrichtwerte.
Handlungsempfehlungen zur schließung der wohnkostenschere
Betroffene sollten ihre Bescheide unverzüglich prüfen lassen: Stimmen Referenzmieten sowie Flächenangaben? Liegt ein aktuelles schlüssiges Konzept vor? Wurden behinderungsbedingte Mehrbedarfe ausreichend berücksichtigt? Fehlen solche Prüfungen besteht Ansatzpunkt für Widerspruch gegen Kürzungen bzw. Aufforderungen zum Umzug.
Zur Begründung eines erhöhten Bedarfs empfiehlt es sich ärztliche Bescheinigungen einzureichen sowie Nachweise über Hilfsmittel-Verordnungen inklusive Schwerbehindertenausweis beziehungsweise Merkzeichen vorzulegen.* Ebenso wichtig sind detaillierte Dokumentationen des vorhandenen Bewegungsradius , Stauraumbedarf sowie Fotos beziehungsweise Skizzen des barrierearmen Wohnraums.*
Eine sachliche Begründung einer Umzugsunmöglichkeit sollte medizinische Versorgungslage ebenso umfassen wie Therapierythmen bzw.-zeiten, Assistenzzeiten, Barrierefreiheit des Gebäudes, Quartiersstruktur, Nähe zu Familie. Nachweise können Atteste, Therapiestundenpläne, Pflegedienstverträge sein.
Heizkosten gelten gesondert hinsichtlich Angemessenheit. Manche Erkrankungen erfordern höhere Raumtemperaturen medizinisch begründet. Hier sollten Abrechnungen, Wartungsnachweise, Gutachten vorgelegt werden.* Bei Heizstrom gilt es abzuklären, welcher Anteil tatsächlich Unterkunftskosten darstellt.
Fristen zum Widerspruch gegen Kürzungen müssen unbedingt eingehalten werden.* Bei drohendem Verlust von Wohnung bzw.* Strom- oder Gassperre kann Eilrechtsschutz beim Sozialgericht beantragt werden.* Parallel bietet sich Überprüfungsantrag bei fehlerhaften älteren Bescheiden an.*
Unterstützung bieten Behinderten- Sozialverbände, Mietervereine, spezialisierte Beratungsstellen* sowie fachkundige Anwältinnen/Anwälte. Viele Beratungsmöglichkeiten erfolgen kostenfrei bzw. sozial gestaffelt.
Pflichten der kommunen zur fortschreibung marktgerechter richtwerte
Angemessenheitsgrenzen stellen keine Schätzgrößen dar sondern erfordern methodengerechte Ermittlung anhand hinreichender Datenbasis,* klarer Segmentierung des Marktes,* aktueller Erhebungsmethoden samt regelmäßiger Fortschreibung.*
Insbesondere Ballungsräume leiden unter knappen barrierefreien Beständen; Verzögerungen bei Fortschreibungsverfahren führen hier zwangsläufig zu struktureller Unterdeckung betroffener Haushalte.*
Kommunale Nutzung veralteter Werte produziert langfristig Härtefälle statt Lösungen am Markt orientierter Wohnungspolitik.
Politische forderungen nach aktualisierung anhand angebotsmietniveau
Verbände fordern seit Langem Anpassung kommunaler Angemessenheitsrichtwerte an reale Angebotsmiet-Niveaus statt historischer Bestandsdaten.* Dies würde Suchrealitäten besser abbilden statt Betroffene dauerhaft zwischen Kostensenkungsverlangen und unrealistischen Umzugsaufforderungen hin-und-herzuwerfen.
Für Schwerbehinderte wäre dies mehr als Symbolpolitik:* Es würde echten Teilhabeschutz gewährleisten,* Behörden entlasten indem aussichtslose Umzugsprüfverfahren vermieden würden* und so nachhaltige Verbesserungen schaffen.
Praxisnaher fahrplan für betroffene
Der Weg beginnt stets mit sorgfältiger Prüfung aller Bescheide einschließlich Flächenangaben samt Vergleich aktueller Marktmieten vor Ort.* Ärztliche Nachweise belegen individuelle Bedarfe,* schriftliche Darlegung medizinischer Gründe verhindert ungewollten Zwangsumzug* und rechtzeitige Rechtsmittel sichern Schutz vor Kürzungen bis abschließender Klärung ab.*
Unterstützung durch spezialisierte Beratende erhöht Erfolgsaussichten deutlich.* Kommunale Entscheidungsträger stehen zudem weiter in Verantwortung regelmäßiger Fortschreibung marktgerechter Konzepte.