Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern hat entschieden, dass Jobcenter bei drohender Wohnungslosigkeit Mietrückstände auch dann übernehmen müssen, wenn die Miete als unangemessen hoch gilt. Diese Regelung gilt insbesondere während der ersten zwölf Monate des Bürgergeldbezugs.
Rechtliche grundlagen und fallbeschreibung zur übernahme von mietschulden durch das jobcenter
Nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch sind Jobcenter verpflichtet, die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung für Bürgergeld-Beziehende zu tragen. Dabei stellt sich häufig die Frage, wie mit Mietrückständen umzugehen ist, wenn diese vor dem Beginn des Bürgergeldbezugs entstanden sind oder die Miete als unangemessen hoch eingestuft wird. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern hat in einem aktuellen Fall klargestellt, dass bei drohender Wohnungslosigkeit eine Leistungspflicht grundsätzlich auch unabhängig von der Angemessenheit besteht.
Der konkrete Fall betraf eine Frau aus Mecklenburg-Vorpommern, die nach knapp einem Jahr Arbeitslosengeld I im Mai 2025 in den Bezug von Bürgergeld wechselte. Während dieser Übergangszeit hatten sich Mietrückstände angesammelt. Das zuständige Jobcenter verweigerte daraufhin die Übernahme dieser Rückstände mit zwei Begründungen: Zum einen sei es nicht zuständig, da die Schulden vor dem Beginn des Bürgergeldbezugs entstanden seien; zum anderen seien die Unterkunftskosten zu hoch und somit unangemessen.
Die Vermieterin hatte bereits fristlos gekündigt, sodass ein unmittelbarer Verlust der Wohnung drohte. In dieser akuten Notlage wandte sich die Betroffene an das LSG im einstweiligen Rechtsschutzverfahren – ein Eilverfahren zur schnellen Sicherung ihrer Rechte ohne endgültige Hauptsacheentscheidung.
Das Gericht verpflichtete das Jobcenter zur vorläufigen Übernahme der Mietschulden auf Grundlage von § 22 Abs. 8 SGB II. Dieser Paragraph sieht vor, dass bei drohender Wohnungslosigkeit ein Anspruch auf Übernahme von Mietschulden besteht, sofern dies zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt ist – unabhängig davon, wann genau diese Verbindlichkeiten entstanden sind.
Karenzzeitregelung und ihre bedeutung für den schutz wohnungsbedrohter bürgergeldbeziehender
Ein zentraler Punkt in diesem Urteil ist die sogenannte Karenzzeitregelung innerhalb des ersten Jahres nach Beginn des Bürgergeldbezugs. Während dieser Zeitspanne sind Jobcenter verpflichtet, tatsächlich entstandene Kosten für Unterkunft und Heizung vollständig zu übernehmen – selbst wenn diese über den örtlichen Richtwerten liegen und damit formal als „unangemessen“ gelten würden.
Das LSG wies ausdrücklich darauf hin: „Die Unangemessenheit kann während der Karenzzeit nicht als Ablehnungsgrund herangezogen werden.“ Dies schützt Betroffene davor, unmittelbar nach Leistungsbeginn aufgrund hoher Wohnkosten ihre Wohnung zu verlieren und dadurch zusätzlich in existenzielle Notlagen zu geraten.
Die Karenzzeit wirkt somit wie ein Schutzschirm gegen Wohnungsverlust gerade in sensiblen Übergangsphasen zwischen verschiedenen Leistungsarten oder Lebenssituationen. Sie verhindert systematisch Schutzlücken durch zeitliche Abgrenzungen bei Zuständigkeiten oder Kostenerstattungen seitens öffentlicher Stellen.
Darüber hinaus stellte das Gericht klar: Für den Anspruch auf Übernahme zählt allein der Zeitpunkt des Antrags auf Leistungen beziehungsweise Hilfen beim Jobcenter zum Zeitpunkt einer akuten Bedrohung durch Wohnungslosigkeit – nicht hingegen das Entstehen etwaiger Rückstände oder Schulden zuvor.
Diese Auslegung beseitigt häufige Argumentationslinien seitens Verwaltungen sowie Behördenmitarbeitenden und sorgt für mehr Rechtssicherheit zugunsten hilfebedürftiger Personen im Sozialleistungsbezug mit Wohnraumproblemen.
Finanzielle situation trotz leistungspflicht
Trotz dieses verbraucherfreundlichen Urteils gibt es einen wesentlichen Vorbehalt: Die Übernahme offener Mietforderungen erfolgt meist nur als Darlehen statt eines Zuschusses beziehungsweise einer Schenkung an Betroffene. Dies bedeutet konkret:
Die vom Jobcenter übernommenen Beträge müssen zurückgezahlt werden; üblicherweise geschieht dies durch monatliche Aufrechnungen mit dem Regelsatz innerhalb eines längeren Zeitraums nach Bewilligung bzw. Auszahlung.
Für Menschen mit ohnehin knappen finanziellen Ressourcen führt dies oft zu spürbaren Einschränkungen im verfügbaren Einkommen über Monate hinweg bis Jahre hinein – was wiederum Auswirkungen auf Lebensqualität sowie Teilhabebedingungen haben kann.
Trotzdem steht hier regelmäßig der Erhalt einer sicheren Unterkunft im Vordergrund gegenüber kurzfristigen finanziellen Belastungen: Der soziale Schaden einer Obdachlosigkeit wäre deutlich gravierender hinsichtlich Gesundheit sowie gesellschaftlicher Integration. „Vieleorts anerkanntes Risiko sozialer Exklusion stellt eine erhebliche Gefährdung individueller Existenzsicherung dar.“
Betroffene sollten daher frühzeitig prüfen lassen, welche Möglichkeiten bestehen, um finanzielle Belastungen langfristig abzufedern. Dazu zählen Beratungsangebote, Verhandlungen mit Vermietern oder gegebenenfalls Suche nach kostengünstigeren Wohnungen außerhalb teurer Ballungsräume.
Eine sorgfältige Dokumentation aller relevanten Unterlagen wie Kündigungsschreiben, Mahnungen, Kontoauszüge sowie aktueller Bescheide erleichtert zudem spätere Verfahren gegenüber Behörden erheblich.
Praktische empfehlungen für bürgergeldempfängerinnen bei mietrückständen und wohnraumschutz
Aus Sicht betroffener Personen ergeben sich aus dem Urteil klare Handlungsempfehlungen:
Wer während seiner Karenzzeit beim Bezug von Bürgergeld Zahlungsrückstände bei Mieten anhäuft oder bereits fristlose Kündigungen erhalten hat, sollte unverzüglich Kontakt zum zuständigen Jobcenter aufnehmen. Ein Antrag auf Übernahme offener Forderungen kann so schnell gestellt werden.
Parallel empfiehlt sich eine umfassende Beratung etwa durch soziale Träger, Schuldnerberatungsstellen oder spezialisierte Rechtsanwältinnen. Diese können helfen, weitere Schritte einzuleiten: Von Verhandlungen mit Vermieterinnen bis hin zur Prüfung alternativer Wohnmöglichkeiten außerhalb teurer Regionen.
Zudem lohnt es sich stets, Bescheide vom Amt fachkundig überprüfen zu lassen. Fehlerhafte Entscheidungen können sonst unnötige finanzielle Nachteile verursachen; Experten erkennen solche Fehler oft schneller.
Im Falle akuter Bedrohung durch fristlose Kündigungen bietet das einstweilige Rechtsschutzverfahren einen wichtigen Schutzmechanismus: Es ermöglicht schnelle gerichtliche Entscheidungen zum Erhalt der Unterkunft noch bevor langwierige Hauptsacheverfahren abgeschlossen sind. Das LSG zeigt damit Bereitschaft zum zügigen Eingreifen unter Wahrnehmung gesetzlicher Voraussetzungen.
Insgesamt stärkt dieses Urteil den präventiven Charakter sozialrechtlicher Hilfen rund um Wohnen erheblich: Es sendet Signale an Verwaltungspersonal ebenso wie an Ratsuchende selbst frühzeitig aktiv zu werden, bevor unkontrollierbare Krisen entstehen können.