Die Rentenversicherung wandelte einen Antrag auf medizinische Rehabilitation ohne rechtliche Grundlage in einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente um. Das Sozialgericht Regensburg erklärte diese Umdeutung für rechtswidrig und stellte klar, unter welchen Bedingungen eine solche Änderung zulässig ist.
Grundlagen der rehabilitation und erwerbsminderungsrente bei der rentenversicherung
Die medizinische oder berufliche Rehabilitation verfolgt das Ziel, die Erwerbsfähigkeit von Erkrankten oder Verletzten wiederherzustellen. Dabei gilt bei der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich der Grundsatz „Reha vor Rente“. Das bedeutet, dass eine Erwerbsminderungsrente erst dann bewilligt wird, wenn eine Rehabilitationsmaßnahme erfolglos blieb und die Erwerbsfähigkeit nicht wiederhergestellt werden konnte.
In diesem Zusammenhang kann die Rentenversicherung unter bestimmten Voraussetzungen einen Antrag auf Rehabilitation in einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente umwandeln. Diese Umdeutung erfolgt jedoch nur dann rechtmäßig, wenn zum Zeitpunkt des Reha-Antrags bereits eine tatsächliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit vorliegt. Die Entscheidung über den Beginn einer möglichen Erwerbsminderung hat weitreichende Folgen für die Betroffenen, da sie damit Ansprüche auslösen kann und Einfluss auf den weiteren Verlauf des Verfahrens nimmt.
Im konkreten Fall wurde diese Umwandlung durch das Sozialgericht Regensburg überprüft. Die Klägerin hatte ursprünglich am 27.01.2017 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation beantragt und war zu diesem Zeitpunkt krankgeschrieben, aber nicht erwerbsgemindert im Sinne des Gesetzes.
Fallbeschreibung: krankgeschrieben aber nicht erwerbsgemindert
Die Betroffene stellte ihren Reha-Antrag Anfang 2017 während einer Phase der Arbeitsunfähigkeit aufgrund ihrer Krankheit. Sie nahm anschließend an einer Rehabilitationsmaßnahme in Bad Reichenhall teil. Zum Zeitpunkt dieses Antrags war sie zwar arbeitsunfähig – also krankgeschrieben –, erfüllte jedoch nicht die Voraussetzungen für eine Anerkennung als erwerbsgemindert.
Eine gesetzlich anerkannte Erwerbsminderung liegt nur dann vor, wenn ein Versicherter dauerhaft weniger als sechs Stunden beziehungsweise weniger als drei Stunden täglich arbeiten kann – und dies mindestens seit sechs Monaten andauert. Im Fall der Klägerin bestätigte ein Entlassungsbericht nach Abschluss ihrer Rehamaßnahme ihre volle Arbeitsfähigkeit mit einer täglichen Leistungsgrenze von mindestens sechs Stunden Arbeit sowie lediglich einer prognostizierten maximal vierwöchigen weiteren Arbeitsunfähigkeit.
Erst deutlich später beantragte sie am 09.05.2018 erstmals offiziell eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung; zwei Gutachten vom 28.06.2018 sowie vom 25.09.2019 bestätigten diesen Zustand rückwirkend ab dem 04.10.2016 allerdings nicht überzeugend genug für das Gericht.
Die Rentenversicherung interpretierte dennoch den ursprünglichen Reha-Antrag aus dem Jahr 2017 bereits als Antrag auf Rente wegen erworbener Minderung der Leistungsfähigkeit – gegen den Willen und ohne Zustimmung der Betroffenen –, was Gegenstand des Rechtsstreits wurde.
Entscheidung des sozialgerichts regensburg zur rechtswidrigkeit
Das Sozialgericht Regensburg erklärte diese Vorgehensweise für unzulässig: Zwar sei es grundsätzlich möglich, dass ein Antrag auf medizinische Rehabilitation gemäß § 116 Absatz 2 SGB VI automatisch als Antrag auf Erwerbsminderungsrente gewertet werde – allerdings nur unter Voraussetzung eines tatsächlich bestehenden Zustands dauerhafter eingeschränkter Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt des Antrags.
Im konkreten Fall lag nachweislich keine solche dauerhafte Einschränkung zum Datum des ursprünglichen Antrags im Januar 2017 vor; daher durfte dieser nicht einfach umgedeutet werden zugunsten eines Antrages mit anderen Rechtsfolgen wie etwa einem früher festgestellten Beginn von Anspruchszeiten oder veränderten Mitwirkungsmöglichkeiten im Verfahren.
Das Gericht setzte zudem fest: Da die Klägerin ihren eigentlichen Erwebminderungantrag erst am 09.05.2018 gestellt hatte und das erste Gutachten diesen Zustand ab Juni desselben Jahres belegte, ist dieser Termin maßgeblich für den Beginn möglicher Leistungen aus dieser Versicherungssparte – nicht hingegen das Datum ihres vorherigen Rehabeginns oder -antrages aus dem Jahr davor.
Diese Entscheidung schützt Versicherte davor, durch automatische Umdeutungen Rechte zu verlieren oder Verfahrensergebnisse beeinflusst zu bekommen ohne eigene Kenntnisnahme beziehungsweise Beteiligung an wichtigen Schritten ihres Versorgungsverfahrens.
Rechtliche grundlagen zur umdeutung von reha-anträgen
Der Paragraf 116 Absatz 2 im Sozialgesetzbuch VI bildet die gesetzliche Grundlage dafür, wann ein Antrag zur medizinischen Rehabilitation zugleich auch als formeller Erwerbminderungantrag gelten kann. Dies tritt insbesondere dann ein, wenn aufgrund ärztlicher Prognosen keine Aussicht besteht, dass sich durch rehabilitative Maßnahmen noch Verbesserungen hinsichtlich der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit erzielen lassen.
Für Versicherte birgt diese Regelung Risiken: Wird ihr ursprünglicher Wunsch nach Wiederherstellung ihrer Gesundheit stillschweigend in einen Rentenantrag geändert, verlieren sie möglicherweise wichtige Mitbestimmungsrechte innerhalb ihres Verfahrensablaufs. Dazu zählt etwa ihr Recht, über weitere Schritte informiert zu werden, Widerspruch einzulegen oder gar ihren eigenen Antrag zurückzuziehen.
Vor allem stellt sich dadurch auch häufig die Frage nach Transparenz gegenüber Betroffenen: Eine automatische Umwandlung darf keinesfalls gegen deren ausdrücklichen Willen erfolgen; vielmehr müssen klare Nachweise über bestehende gesundheitliche Einschränkungen vorhanden sein.
Diese Vorgaben sollen sicherstellen, dass Menschen mit gesundheitlichen Problemen angemessen unterstützt werden ohne unbeabsichtigten Verlust individueller Rechte innerhalb komplexer Verwaltungsverfahren rund um soziale Sicherungssysteme wie Kranken-, Unfall- oder Rentenversicherungen.