Die gesetzliche Regelung des § 103 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch schließt den Anspruch auf Erwerbsminderungsrente aus, wenn die gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt wurde. Dabei ist entscheidend, ob die versicherte Person das Ziel hatte, durch eigenes Handeln eine Erwerbsminderung zu erreichen. Der folgende Text erläutert die Rechtslage, grenzt verschiedene Vorsatzformen ab und beschreibt wichtige Ausnahmen sowie aktuelle Rechtsprechungen.
Rechtslage und voraussetzungen für den ausschluss der erwerbsminderungsrente
Nach § 103 SGB VI besteht kein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder verwandte Rentenarten wie Altersrente für schwerbehinderte Menschen oder große Witwen-/Witwerrente, wenn die versicherte Person die gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt hat. Das Gesetz formuliert: „Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit […] besteht nicht für Personen, die die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt haben.“ Entscheidend ist dabei der Vorsatz; es muss sich um ein gerichtetes Ziel handeln.
Der Ausschluss greift nur bei Absicht im Sinne eines direkten Willens zur Herbeiführung der Erkrankung oder Schädigung. Die bloße Fahrlässigkeit oder das Inkaufnehmen eines möglichen Schadens reichen nicht aus. Die Rentenversicherung trägt hierbei stets die volle Beweislast: Sie muss vor Gericht nachweisen, dass der Versicherte den Erfolg gewollt hat. Im Zweifel gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“, also zugunsten des Versicherten.
Ein wichtiger Aspekt ist zudem der Unterschied zwischen vollständigem und teilweisem Ausschluss: Wird nur ein Teil des Gesundheitsschadens vorsätzlich verursacht, kann eine anteilige Kürzung erfolgen; eine teilweise Erwerbsminderungsrente bleibt dann bestehen.
Unterschiede zwischen vorsatzformen bei erwerbsminderung
Das deutsche Straf- und Sozialrecht unterscheidet verschiedene Formen des Vorsatzes mit unterschiedlichen rechtlichen Folgen:
-
Absicht : Hier wünscht der Täter ausdrücklich den Erfolg – also etwa bewusst eine dauerhafte Erwerbsminderung herbeizuführen. In diesem Fall greift § 103 SGB VI zwingend zum Ausschluss des Rentenanspruchs.
-
Direkter Vorsatz : Der Täter erkennt den Erfolg sicher als Folge seines Handelns an und nimmt ihn in Kauf, ohne ihn aktiv zu wollen. Diese Form wird juristisch umstritten behandelt; in der Praxis wird sie häufig wie Absicht bewertet.
-
Eventualvorsatz : Das „billigende Inkaufnehmen“ eines Erfolgs reicht nicht aus für einen Ausschluss nach § 103 SGB VI.
Diese Differenzierung ist wichtig zur Abgrenzung von Fällen wie Suizidversuchen oder riskantem Verhalten ohne ausdrückliches Ziel einer Erwerbsminderung.
Beispiele absichtlicher selbstschädigung versus suchtverhalten
Typische Beispiele für eine absichtliche Selbstschädigung sind etwa Selbstverstümmelungen mit dem klaren Ziel einer Berufsunfähigkeit – beispielsweise ein gezielter Schuss ins Knie –, ebenso wie Überdosierungen von Substanzen mit dem Zweck einer dauerhaften Erwerbsgemindertheit. In solchen Fällen war dem Betroffenen bewusst, dass gerade dieser Schaden zum Erhalt einer Rente führen soll.
Demgegenüber stehen Verhaltensweisen wie Rauchen sowie Alkohol‑ oder Drogenkonsum: Diese können zwar Krankheiten verursachen , doch hier fehlt es an Absicht im Sinne von § 103 SGB VI – das Verhalten dient primär Suchterfüllung statt einem geplanten Rentenerhalt durch Krankheitsschäden.
Auch Suizidversuche fallen grundsätzlich nicht unter diesen Paragraphen: Laut Deutscher Rentenversicherung zielt ein Suizidversuch auf Selbsttötung ab und nicht auf Erreichen einer Erwerbsminderung als Folgehandlung; überleben Betroffene mit Folgeschäden besteht daher meist Anspruch auf Rente aufgrund verminderter Leistungsfähigkeit.
Psychische aspekte bei erwerbminderung und rechtlicher bewertung
Absicht setzt geistige Zurechnungsfähigkeit voraus: Wer sich in akuten psychischen Ausnahmezuständen befindet – etwa während einer Psychose –, handelt rechtlich gesehen nicht vorsätzlich im Sinne von § 103 SGB VI beim Herbeiführen eigener Schäden durch Selbstverstümmelung o. Ä., da ihm das Bewusstsein über sein Handeln fehlt.
Bei schweren chronischen Depressionen treten häufig Suizidgedanken auf; verursacht ein Versuch zusätzliche körperliche Schäden führt dies dennoch nicht zu einem geplanten Vorgehen zur Erlangung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund erwiesener Absichtlichkeit gemäß § 103 SGB VI.
Die Rechtsprechung bestätigt diese differenzierte Betrachtungsweise regelmäßig auch unter Berücksichtigung medizinischer Gutachten sowie psychiatrischer Stellungnahmen zum Geisteszustand Betroffener zum Tatzeitpunkt bzw. Zeitpunkt schädigenden Handelns.
Verweigerung ärztlicher behandlung und folgen nach sgb i
Wer ärztlich verordnete Rehabilitationsmaßnahmen abbricht oder notwendige Therapien verweigert führt damit keine absichtlich herbeigeführte Erkrankung im Sinne von § 103 SGB VI herbei – somit entfällt kein Anspruch automatisch aufgrund dieser Handlung allein.
Allerdings kann dies Auswirkungen gemäß § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch haben: Die gesetzliche Rentenversicherung darf Leistungen ganz oder teilweise versagen beziehungsweise ruhend stellen bei fehlender Mitwirkungspflicht seitens Versicherter gegenüber medizinisch notwendigen Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft.
Ermessenspielraum bei leistungskürzungen wegen fehlender mitwirkung
§ 66 SGB I räumt dem Träger Ermessen ein hinsichtlich Art und Umfang möglicher Leistungskürzungen infolge mangelnder Mitwirkung an Reha-Maßnahmen bzw. -Behandlungen:
Eine dauerhafte Entziehung erfolgt nur dann dauerhaft wenn trotz umfassender Aufklärung beharrlich jede Behandlung verweigert wird ohne nachvollziehbare Gründe;
In weniger gravierenden Fällen kann Ruhenlassen temporär erfolgen bis Mitwirkung wieder aufgenommen wird;
Dies stellt einen wichtigen Unterschied dar gegenüber automatischem Leistungsausschluss gemäß §§ 102 ff., da hier keine direkte Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen eigenem Fehlverhalten bezüglich Gesundheitszustand vorliegt.
Besondere regelungen bei straftaten gemäẞ sgb vi
Gemäß § 104 SGB VI kann auch dann eine Leistung ganz oder teilweise versagt werden wenn sich gesundheitsschädigende Ereignisse während Begehung vorsätzlicher Straftaten ereigneten – insbesondere Verbrechen bzw. Vergehen mit mindestens einem Jahr Strafdrohung kommen infrage;
Im Gegensatz zu §§ 102/ 103 handelt es sich hierbei um Ermessensentscheidungen seitens RV-Trägers;
Beispielhaft stürzt ein Einbrecher vom Dach während Flucht verletzt sich schwer – hier darf RV-Leistung entzogen werden muss aber nicht zwingend erfolgen;
Beweislast liegt beim rententräger
Für alle Fälle gilt uneingeschränkt dass Nachweisabsichten ausschließlich beim Träger liegen;
Er muss gerichtlich belegen können dass Versicherter tatsächlich zielgerichtet seine Gesundheit geschädigt hat um Ansprüche auszuschließen;
Zweifel gehen immer zulasten Versicherungsträgers was Schutzfunktion zugunsten Versicherten gewährleistet;
Aktuelle gerichtsurteile zur abgrenzung fahrlässigkeit versus vorsatz
Das Landessozialgericht Hessen entschied am 23.08.2019 , dass schuldhaftes Fehlverhalten ohne Absichtscharakter keinen Verlust des Anspruchs bedeutet – konkret ging es um Sprünge aus suizidaler Motivation ohne gezielte Schädigungsabsichten bezüglich Arbeitskraftverlusts;
Das Bundessozialgericht bestätigte am 16.05.2012 nochmals eindeutig dass Träger stets beweisen müssen ob tatsächliches Wollen vorlag bevor Leistungen ausgeschlossen werden dürfen;
Diese Urteile verdeutlichen klarer denn je:
Reine Fahrlässigkeit reicht niemals als Grundlage für Entzug von Leistungen,
Eventualvorsätze genügen ebenfalls nicht,
Nur eindeutige Absichten führen zu Sanktionen gemäẞ §§ 102–104.