Die deutschen Leichtathletikmeisterschaften 2023 in Dresden dienten als wichtiger Formcheck für die Athleten vor der Weltmeisterschaft im September in Tokio. Besonders im Fokus standen Sprinterin Gina Lückenkemper, Speerwerfer Julian Weber und Mittelstreckenläuferin Konstanze Klosterhalfen, deren Leistungen unterschiedliche Perspektiven auf den aktuellen Stand des Deutschen Leichtathletikverbands werfen.
Gina lückenkemper: sprintbestzeit mit verzögerter belohnung
Für die 28-jährige Sprinterin Gina Lückenkemper war das Jahr 2022 von einem besonderen Moment geprägt. Im September erzielte sie mit 10,93 Sekunden ihre neue persönliche Bestzeit über 100 Meter – ein Ergebnis, auf das sie sieben Jahre gewartet hatte. Allerdings kam dieser Erfolg zu einem ungünstigen Zeitpunkt, da die Olympischen Spiele bereits vorbei waren. Statt eines Finaleinzugs bei den Spielen erhielt sie lediglich Applaus beim Istaf-Meeting in Berlin.
In diesem Jahr zeigte sich bei den deutschen Meisterschaften in Dresden eine gemischte Bilanz: Mit einer Zeit von 11,17 Sekunden gewann Lückenkemper zwar ihren vierten nationalen Titel hintereinander, doch diese Leistung reicht aktuell nicht aus, um bei der WM ein Finale zu erreichen. Ihre Saisonbestleistung von 11,05 Sekunden bedeutet weltweit nur Rang 53. Die Bedingungen während der Wettkämpfe erschwerten eine realistische Einschätzung ihrer Form zusätzlich – alle Läufe fanden unter Gegenwind statt.
Lückenkemper bezeichnete Dresden als „ernstzunehmenden Formcheck“ für Tokio und äußerte sich enttäuscht über die Windverhältnisse:
„Es war so ärgerlich, dass alle Läufe mit Gegenwind waren.“ Als eines der wenigen Aushängeschilder des DLV betonte sie zudem die Bedeutung der Frauen-Staffel über 4×100 Meter. Nach dem Gewinn von Bronze bei den Olympischen Spielen zusammen mit Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye, Zehnkämpfer Leo Neugebauer und Weitspringerin Malaika Mihambo sieht Lückenkemper ihr Team gestärkt:
„Ich bin nicht mehr allein auf weiter Flur.“
Der Blick richtet sich nun darauf, wie das Team bis zum WM-Start am 13. September seine Leistungsfähigkeit steigern kann – insbesondere nach dem enttäuschenden Abschneiden ohne Medaillen bei der WM vor zwei Jahren in Budapest.
Weber und klosterhalfen: unterschiedlicher stand nach verletzungen und trainingspausen
Der Speerwerfer Julian Weber präsentierte sich trotz widriger Bedingungen erneut als dominierende Kraft im deutschen Feld. Seine Saisonbestweite von 91,06 Metern aus Doha im Mai ist bislang unübertroffen weltweit. In Dresden erreichte er jedoch nur eine Weite von 84,36 Metern – was auch an Problemen mit Adduktoren lag.
Weber erklärte offen seine körperlichen Beschwerden:
„Alles zwickt und zwackt so ein bisschen.“ Trotz dieser Einschränkungen gewann er souverän seinen dritten nationalen Titel vor dem Rio-Olympiasieger Thomas Röhler . Er zeigte sich selbstkritisch hinsichtlich seiner Leistung am Wettkampftag:
„Es ärgert mich schon ein bisschen; ich wollte mehr zurückgeben.“ Nach seiner Bestleistung befindet er sich derzeit auf Orientierungssuche bezüglich Trainingsumfang und Belastung.
Eine andere Situation zeigt Mittelstreckenläuferin Konstanze Klosterhalfen auf. Die frühere WM-Bronzemedaillengewinnerin über 5 000 Meter kämpft seit mehreren Jahren mit gesundheitlichen Rückschlägen sowie Übertrainingsepisoden zurückzukehren zur früheren Topform gelingt ihr bisher nicht vollständig.
In Dresden belegte Klosterhalfen Platz drei mit einer Zeit von 15:36,77 Minuten – deutlich langsamer als ihre persönliche Bestleistung aus früheren Jahren. Sie berichtete offen über ihre schwierige Phase:
„Ich war komplett körperlich am Boden“, sagte sie. Mehrere Erkrankungen hätten ihren Körper stark belastet; erst seit Februar trainiert sie wieder unter Trainer Pete Julian in den USA – ihrem ehemaligen Coach vom Nike Oregon Project.
Trotz verbesserter Gesundheit sieht Klosterhalfen eine Teilnahme an der Weltmeisterschaft aktuell noch als fern an.
Perspektiven des dlv nach enttäuschungen und hoffnungsträgern
Die deutsche Leichtathletik steht weiterhin vor Herausforderungen hinsichtlich internationaler Konkurrenzfähigkeit nach dem medaillenlosen Abschneiden bei der WM 2021 in Budapest sowie punktuellen Leistungssprüngen einzelner Athleten wie Hammerwerfer Merlin Hummel oder Zehnkämpfer Leo Neugebauer.
Neugebauer hat bereits frühzeitig die Norm für Tokio erfüllt; ebenso gilt es für Niklas Kaul, weiterhin formstabil zu bleiben trotz Umstellung vom College-Profi zum Vollzeit-Athleten außerhalb des US-amerikanischen Systems.
Das Team um Trainerstab arbeitet daran, Verletzungen vorzubeugen sowie Trainingsbelastungen optimal zu steuern; vergangene Saisons zeigten häufige Ausfälle durch Überlastung oder gesundheitliche Probleme deutscher Spitzenathleten kurz vor Höhepunkten wie Olympia oder Weltmeisterschaften.
Mit Blick auf Tokio bleibt abzuwarten, ob Athleten wie Lückenkemper oder Weber ihre Spitzenleistungen rechtzeitig abrufen können beziehungsweise ob Talente wie Neugebauer weitere Fortschritte erzielen werden, um Deutschland international konkurrenzfähig zu halten.