Der demografische Wandel führt in Deutschland zu einem zunehmenden Arbeitskräftemangel, der das wirtschaftliche Wachstum gefährden könnte. Vor allem der Ruhestand der geburtenstarken Babyboomer-Generation wirft Fragen auf, wie die entstandene Lücke am Arbeitsmarkt geschlossen werden kann.
Herausforderungen durch den altersbedingten arbeitskräftemangel
Die Babyboomer-Jahrgänge verlassen nach und nach den Arbeitsmarkt, was eine erhebliche Verringerung des Erwerbspersonenpotenzials zur Folge hat. Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft stellt die zentrale Frage: „Wer macht eigentlich die Arbeit, wenn die Babyboomer in den Ruhestand gehen und die jungen Jahrgänge diese Lücke nicht füllen können?“ Diese Entwicklung ist für Deutschland existenziell, da ein Mangel an qualifizierten Fachkräften das Wirtschaftswachstum bremsen und soziale Sicherungssysteme belasten kann.
Eine mögliche Lösung wäre eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit bis zum Alter von 70 Jahren. Allerdings gestaltet sich eine Anhebung des Renteneintrittsalters als langwieriger Prozess. Die Erhöhung auf 67 Jahre begann bereits im Jahr 2007 und wird erst bis 2031 vollständig umgesetzt sein. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas weist darauf hin: „Die Regelaltersgrenze steigt ja bereits zwei Monate pro Jahrgang bis 2031.“ Eine weitere Anhebung über dieses Niveau hinaus ist politisch derzeit nicht mehrheitsfähig.
Zudem sind körperliche Belastungen sowie unterschiedliche Berufsgruppen zu berücksichtigen. Nicht alle Arbeitnehmer können oder wollen länger arbeiten – insbesondere Menschen mit körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten stoßen hier an Grenzen. Deshalb müssen alternative Modelle entwickelt werden, um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken.
Aktivrente als modell für längere berufstätigkeit über das rentenalter hinaus
Ein Ansatz zur Entlastung besteht darin, älteren Beschäftigten finanzielle Anreize für eine freiwillige Weiterarbeit über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus zu bieten. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann unterstützt einen Vorschlag aus der schwarz-roten Regierungskoalition: Wer freiwillig weiterarbeitet, soll zusätzlich zur Rente ein steuerfreies Gehalt von monatlich 2 000 Euro erhalten – genannt wird dieses Modell „Aktivrente“.
Das Prinzip beruht auf Freiwilligkeit und soll ältere Arbeitnehmer motivieren, länger im Beruf zu bleiben ohne Zwang oder Pflichtverlängerungen bei der Altersgrenze einzuführen. Kritiker bemängeln jedoch soziale Ungleichheiten durch diese Regelung: Die Aktivrente eigne sich vor allem für akademische Berufe mit geringerer körperlicher Belastung – etwa Architekten –, während handwerklich tätige Personen wie Maurer kaum davon profitieren könnten.
Aus Sicht von Ines Schwerdtner, Vorsitzende der Linken, reicht dieser Vorschlag nicht aus: „Das Rentensystem müsste reformiert werden aber nicht durch solche kosmetischen Aktivrentenvorschläge.“ Sie fordert stattdessen eine grundlegende Umverteilung innerhalb des bestehenden Systems sowie Einbeziehung aller Erwerbstätigen einschließlich Selbstständiger und Abgeordneter in die Beitragszahlungen.
Auch Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds , betont den Reformbedarf bei politischen Leistungen wie etwa der Mütterrente: Diese sollten vollständig staatlich finanziert werden statt beitragsfinanziert sein.
Unternehmen im wettbewerb um ältere arbeitskräfte
Neben politischen Maßnahmen spielt auch die Unternehmenskultur eine entscheidende Rolle bei der Integration älterer Beschäftigter in den Arbeitsmarkt. Elke Ahlers von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hebt hervor: „Unternehmen mit einer guten Unternehmenskultur haben größere Chancen auf langfristige Zusammenarbeit.“
Damit ältere Mitarbeiter länger tätig bleiben können, müssen Unternehmen attraktive Rahmenbedingungen schaffen – dazu zählen Fortbildungsangebote ebenso wie ein vertrauensvolles Betriebsklima sowie Wertschätzung gegenüber erfahrenen Kräften trotz möglicher technischer Herausforderungen im digitalen Wandel.
Viele Arbeitnehmer streben frühzeitig einen Ruhestand an, weil sie sich am Arbeitsplatz nicht mehr wohlfühlen oder ihre Leistung weniger anerkannt sehen. Um dem entgegenzuwirken sind flexible Modelle nötig; beispielsweise altersgerechte Aufgabenprofile oder Teilzeitoptionen mit Perspektive auf Vollzeitarbeit könnten helfen.
Darüber hinaus erfordert es Unterstützung bei familiären Verpflichtungen wie Kinderbetreuung oder Pflege Angehöriger durch entsprechende Angebote seitens Arbeitgebern beziehungsweise Politikern.
Perspektiven angesichts wachsender arbeitskräfteknappheit
Der prognostizierte Rückgang verfügbarer Erwerbspersonen betrifft alle Generationen gleichermaßen und wirkt sich langfristig negativ auf Wohlstandsniveau aus. Holger Schäfer warnt vor erheblichen Einbußen infolge verstärkter Fachkräfteengpässe: „Wir werden diese beschriebenen Arbeitskräfteknappheiten sehr verstärkt spüren.“
Neben längeren Lebensarbeitszeiten spielen Zuwanderung sowie bessere Nutzung vorhandener Potenziale wichtige Rollen beim Ausgleich des Defizits am deutschen Arbeitsmarkt. Politische Entscheidungen müssen daher sowohl Reformansätze beim Rentensystem als auch Maßnahmen zur Förderung älterer Beschäftigter umfassen.
Insgesamt zeigt sich deutlich: Die Frage nach einer nachhaltigen Schließung der Boomer-Lücke betrifft sämtliche Gesellschaftsschichten und erfordert koordinierte Strategien zwischen Staatspolitik sowie Unternehmen aller Branchen zum Erhalt wirtschaftlicher Stabilität Deutschlands in Zukunft.