Die Proteste gegen die autokratische Führung Serbiens unter Präsident Aleksandar Vučić gewinnen an Intensität und Teilnehmerzahl. Während die Regierung mit harten Maßnahmen reagiert, wächst der Widerstand über studentische Kreise hinaus bis in ländliche Regionen.
Eskalation der proteste und staatliche repression in šabac
In Šabac, etwa 70 Autominuten westlich von Belgrad, versammeln sich Demonstrierende trotz sommerlicher Hitze vor dem örtlichen Gymnasium. Sie skandieren „Pumpaj“, was so viel bedeutet wie „weitermachen“ oder „nicht nachlassen“. Dieses Motto symbolisiert den ungebrochenen Willen, gegen die als autokratisch empfundene Regierung von Präsident Aleksandar Vučić zu protestieren.
Die Kundgebung ist geprägt von Solidarität und Kritik an den Vergeltungsmaßnahmen des Regimes. Ein Redner erinnert an den lokalen Aktivisten Željko Katić, der bei den Studentenprotesten unterstützend tätig war. In jüngster Zeit wurde sein Fischladen Ziel eines Angriffs durch maskierte Täter, die mit Hämmern das Geschäft verwüsteten. Die Tat wurde auf Überwachungsvideos dokumentiert und wird als Einschüchterungsversuch gewertet, da Katić die Protestierenden regelmäßig mit Verpflegung versorgte.
Diese Repressionen zeigen sich nicht nur in Šabac, sondern sind Teil einer landesweiten Strategie: Kritische Medien erhalten Drohbriefe, Demonstrierende werden teils gewaltsam angegriffen. Die offizielle Partei des Präsidenten – die Serbische Fortschrittspartei – tritt zwar konservativ auf und ist formal Mitglied der Europäischen Volkspartei , doch ihr Führer hat sich im Laufe seiner 13-jährigen Amtszeit zunehmend zum Autokraten entwickelt.
Wandel vom studentischen aufbegehren zur breiten gesellschaftlichen bewegung
Ursprünglich begannen die Proteste im November 2024 nach einem tragischen Unfall am Hauptbahnhof von Novi Sad, bei dem 16 Menschen starben. Korruptionsvorwürfe beim Bau führten zunächst zu Studentenprotesten; inzwischen beteiligen sich breite Bevölkerungsschichten daran – darunter Ärztinnen, Anwälte sowie Gemeinderäte aus verschiedenen Regionen.
In Belgrad studierende junge Menschen wie Dorotea beschreiben eine Bewegung jenseits rein studentischer Anliegen: „Diese Bewegung ist nicht mehr nur studentisch, das ist jetzt ein breiter bürgerlicher Protest.“ Der kreative Charakter zeigt sich auch darin, dass Demonstrierende Straßen blockieren oder spontane Volleyballspiele organisieren – Aktionen, welche Polizei und Behörden herausfordern.
Obwohl gelegentlich Nationalisten mit entsprechenden Symbolen auftreten, betont Dorotea: „Die große Mehrheit verfolgt ganz andere Ziele: Wir wollen einen besseren Staat.“ Gemeint sei ein Land mit Schutz für alle Generationen sowie Perspektiven für zukünftige Lebensqualität.
Der politische Analyst Pavle Grbović sieht im Aufbegehren kleiner Dörfer gegen lokale Machthaber einen Wendepunkt: „Die Angst ist zerschlagen worden.“ Für ihn markiert dies den Moment ohne Rückkehr hin zu einer autoritären Herrschaft ohne Widerstandspotenzial.
Ausblick auf herbstproteste und rolle der bauernbewegung
Der kommende Herbst wird als entscheidend angesehen für den weiteren Verlauf der politischen Krise in Serbien. Nach Abschluss der Ernte ab Ende August planen erstmals auch Bauern ihre Teilnahme an den Demonstrationen. Diese Ausweitung signalisiert eine weitere Verbreiterung des Protestspektrums über städtische Zentren hinaus ins ländliche Umfeld hinein.
Präsident Vučić reagiert darauf mit Ankündigungen einer langfristigen Reformagenda namens „Agenda 2035“, um Kritikern entgegenzukommen beziehungsweise deren Forderungen abzuschwächen. Dennoch bleibt Skepsis bestehen; Oppositionsvertreter erwarten einen heißen politischen Herbst voller weiterer Mobilisierungen unter dem Motto „pumpaj“ – also fortsetzen trotz aller Widrigkeiten.
Das Zusammenspiel zwischen urbanem Aktivismus und bäuerlichem Engagement könnte maßgeblich bestimmen, ob es gelingt, Druck auf das Regime aufzubauen oder ob autoritäre Strukturen weiterhin Bestand haben werden. Beobachter sehen darin eine Phase politischer Unruhe mit potenziell weitreichenden Folgen für Serbiens demokratische Entwicklung im Jahr 2025 und darüber hinaus.