Rund drei Millionen Menschen in Deutschland beziehen eine Erwerbsminderungsrente . Seit der Reform im Jahr 2019 profitieren Neurentnerinnen und Neurentner von verbesserten Berechnungsregeln, während Bestandsrentner mit älteren Rentenansprüchen dauerhaft geringere Leistungen erhalten. Das Bundessozialgericht hat diese Ungleichbehandlung nun rechtlich bestätigt.
Urteil des bundessozialgerichts zu unterschiedlichen berechnungen der erwerbsminderungsrente
Das Bundessozialgericht hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass die seit 2019 geltenden verbesserten Regelungen zur Berechnung der Erwerbsminderungsrente nicht rückwirkend auf bereits bewilligte Renten angewendet werden müssen. Zwei Kläger hatten versucht, die verlängerte Zurechnungszeit – ein zentraler Faktor für die Rentenhöhe – auch für sogenannte „Altfälle“ durchzusetzen. Die Zurechnungszeit simuliert dabei fiktive Erwerbsjahre, die ein Versicherter ohne gesundheitliche Einschränkungen noch hätte leisten können.
Seit dem Stichtag 1. Januar 2019 wurde diese Zeitspanne deutlich ausgeweitet, was insbesondere jüngeren Erwerbsgeminderten höhere Rentenzahlungen ermöglicht. Das Gericht wies jedoch darauf hin, dass gesetzliche Änderungen grundsätzlich nur für Neurentner gelten und verwies auf die Paragraphen 300 und 306 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch , welche eine solche Stichtagsregelung ausdrücklich vorsehen.
Die Richter bewerteten diese Differenzierung als sachlich gerechtfertigt trotz der Härten für Bestandsrentnerinnen und -rentner. Die Entscheidung unterstreicht den Ermessensspielraum des Gesetzgebers bei sozialrechtlichen Stichtagsregelungen und schließt verfassungsrechtliche Anfechtungen wegen Gleichheitsverstößen aus.
Bedeutung der zurechnungszeit bei der berechnung von erwerbsminderungsrenten
Die Zurechnungszeit ist ein wesentlicher Bestandteil zur Ermittlung der Höhe einer Erwerbsminderungsrente. Sie berücksichtigt fiktive Beitragszeiten über den tatsächlichen Renteneintritt hinaus bis zu einem bestimmten Alter oder Zeitpunkt. Durch ihre Verlängerung erhöht sich automatisch die Anzahl an Entgeltpunkten im Versicherungskonto, was zu höheren monatlichen Zahlbeträgen führt.
Vor dem Jahr 2019 war diese Zeitspanne kürzer bemessen; seitdem reicht sie weiter in die Zukunft hinein – ein Vorteil vor allem für jüngere Betroffene mit längerer Lebenserwartung nach Eintritt einer Erwerbsminderung. Wer seine Rente bereits vor diesem Datum bezog, profitiert nicht von dieser Verbesserung.
Diese unterschiedliche Behandlung führte zu erheblichen finanziellen Unterschieden zwischen Alt- und Neurentnern mit vergleichbaren Voraussetzungen. Die Klagen zielten darauf ab, diesen Nachteil auszugleichen; das BSG bestätigte jedoch den gesetzlichen Rahmen ohne Ausnahmen für Altfälle.
Finanzielle folgen für bestandsrentnerinnen und bestandsrentner in deutschland
Etwa drei Millionen Menschen beziehen eine EM-Rente nach altem Recht ohne Berücksichtigung der erweiterten Zurechnungszeit von 2019 an. Im Vergleich zu Neurentnern fehlen ihnen durchschnittlich zwischen 50 und rund 200 Euro pro Monat an zusätzlicher Leistung durch die Reform.
Im vom BSG entschiedenen Fall betrug die Differenz etwa 185 Euro brutto monatlich – eine Summe mit spürbarer Wirkung auf das Haushaltsbudget vieler Betroffener mit eingeschränkter Erwerbsfähigkeit. Diese Lücke stellt insbesondere angesichts steigender Lebenshaltungskosten eine erhebliche Belastung dar.
Der Gesetzgeber reagierte darauf teilweise durch Einführung eines pauschalen Zuschlags zum Juli 2024: Je nach Zeitpunkt des erstmaligen Bezugs beträgt dieser Zuschlag entweder rund 4,5 oder 7,5 Prozent zusätzlich zur bestehenden Rente . Anspruchsberechtigt sind Personen mit EM-Rentenbeginn zwischen den Jahren 2001 bis 2018.
Trotz dieses Zuschlags bleibt weiterhin eine deutliche Diskrepanz gegenüber den höheren Leistungen neuerer EM-Rentengenerationen bestehen; es handelt sich um einen politischen Kompromiss ohne vollständige Gleichstellung aller Versichertenjahrgänge.
Hintergründe zur reform von 2019 sowie politische kontroversen um rentenanpassungen
Die Reform von 2019 entstand unter erheblichem Druck sozialer Verbände sowie Interessenvertretungen behinderter Menschen beziehungsweise erwerbsgeminderter Versicherter in Deutschland. Kritisiert wurde damals insbesondere das Fehlen eines Ausgleichsmechanismus zugunsten bestehender Leistungsbezieher trotz verbesserter Berechnungsvorschriften zugunsten künftiger Beziehergruppen.
Im Rahmen parlamentarischer Anhörungen zum sogenannten „EM-Renten-Bestandsverbesserungsgesetz“ zeigte sich zwar Wille zur Schaffung eines Teilausgleichs; gleichzeitig galt es aber fiskalische Grenzen einzuhalten sowie Planungssicherheit innerhalb des Sozialversicherungssystems sicherzustellen.
Das Ergebnis ist ein pauschaler Zuschlag ab Mitte 2024 als symbolische Geste gegenüber Bestandsrentern statt einer umfassenden Nachzahlung oder Rückwirkung aller Verbesserungen auf ältere Fälle zurückgehend bis zum ursprünglichen Inkrafttreten im Jahr 2019 beziehungsweise früherem Beginn ihrer Rente .
Kritiker sehen darin keine nachhaltige Lösung sondern lediglich kosmetische Korrekturmaßnahmen gegen strukturelle Ungleichheiten innerhalb des Systems; Befürworter betonen hingegen übliche Praxis sozialrechtlicher Stichtagsregelungen sowie finanzielle Machbarkeit als Argumente gegen umfassendere Nachzahlungen oder Rückwirkungen alter Ansprüche auf neue Rechtslagen außerhalb klar definierter Übergangsfristen bzw.-zeiträume.
Empfehlungen für betroffene hinsichtlich prüfung individueller anspruchslagen
Auch wenn das BSG-Urteil pauschale Nachforderungen ausschließt, sollten Betroffene ihre individuellen Ansprüche sorgfältig prüfen lassen: Entscheidend ist zunächst Kontrolle sämtlicher rentenrelevanter Zeiten wie Beitrags-, Anrechnungs-, Kindererziehungs- oder Pflegezeiten inklusive korrekter Berücksichtigung verlängerter Zurechnungszeiten entsprechend ihrem jeweiligen Renteneintrittsdatum gemäß § 300 SGB VI.
Darüber hinaus gilt es sicherzustellen, dass seit Juli 2024 gewährte pauschale Zuschläge tatsächlich im aktuellen Bescheid ausgewiesen sind . Ein genauer Blick ins Dokument lohnt sich besonders dann, wenn Zweifel bezüglich Auszahlung bestehen.
Fachkundige Unterstützung bieten gerichtlich zugelassene Rentenberaterinnen beziehungsweise -berater sowie spezialisierte Rechtsanwältinnen bzw.-anwälte. Erst danach sollte gegebenenfalls formell Überprüfunganträge gestellt werden, um Fristversäumnisse oder unnötige Ablehnungsverfahren auszuschließen .
Eine individuelle Prüfung kann Fehler entdecken, welche korrigierbar sind. So lassen sich zumindest kleinere finanzielle Verbesserungen erzielen, auch wenn große strukturelle Veränderungen derzeit ausgeschlossen bleiben.
Rechtlicher rahmen: verfassungsmäßigkeit stichtagsregelungen und deren grenzen
Stichtagsregelungen stellen gängiges Instrumentarium im Sozialrecht dar. Sie dienen Verwaltungsvereinfachung, schaffen Rechtssicherheit sowohl beim Vollzug als auch bei Planungsvorgaben öffentlicher Systeme.
Gleichzeitig werfen sie regelmäßig Fragen hinsichtlich Gleichheitsgrundsatzes gemäß Artikel 3 Grundgesetz auf: Sind Unterschiede sachgerecht begründet? Oder liegen willkürliche Benachteiligungen vor?
Das Bundessozialgericht räumte dem Gesetzgeber großen Ermessensspielraum ein. Eine verfassungsrechtliche Anfechtung wäre nur erfolgversprechend gewesen, falls Diskriminierungen unverhältnismäßig wären.
In seinem Urteil sah das Gericht nachvollziehbare Gründe wie fiskalische Auswirkungen auf Träger öffentlicher Altersversorgungssysteme; deshalb wurde keine Verletzung dieses Grundsatzes festgestellt.
Damit bleibt juristisch gesehen wenig Raum für weitere Klagen gegen bestehende Regelungen bezüglich unterschiedlicher Behandlung alter versus neuer EM-Renten.
Perspektiven betroffener zwischen resignatio nund individuellen handlungsmöglichkeiten
Viele Betroffene empfinden das Urteil vermutlich als Niederlage angesichts jahrzehntelanger finanzieller Nachteile gegenüber neueren Generationen. Dennoch existieren individuelle Stellschrauben:
Wer bislang nicht alle relevanten Zeiten gemeldet hat oder dessen Biografie komplexe Sachverhalte enthält, kann noch Korrekturen erreichen.
Sozialrechtliche Instrumente wie Überprüfunganträge gemäß §44 SGB X ermöglichen unter Umständen Nachzahlungen bei Fehlern früherer Entscheidungen; dies setzt allerdings genaue Kenntnis voraus sowie Geduld aufgrund oft langwieriger Verfahren.
Betroffene sollten daher fachkundigen Rat suchen bevor sie Schritte unternehmen; so lassen sich unnötige Ablehnungen vermeiden.
Die Debatte über Fairness versus Finanzierbarkeit sozialstaatlicher Sicherungssysteme wird fortbestehen. Für viele bleibt offen: Reichen kleine Anpassungen aus? Oder bedarf es grundlegend erneuerter Konzepte zur gleichmäßigen Behandlung aller Generationen innerhalb deutscher Altersvorsorge?