Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass kostenlose Mahlzeiten vom Arbeitgeber als geldwerter Vorteil gelten und beim Bürgergeld als Einkommen angerechnet werden dürfen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die betroffene Person die Mahlzeit tatsächlich nutzt.
Rechtliche bewertung von kostenlosen arbeitgeber-mahlzeiten beim bürgergeld
Das Bundessozialgericht hat in einem aktuellen Urteil klargestellt, dass eine vom Arbeitgeber bereitgestellte kostenlose Mahlzeit als „Einnahme in Geldeswert“ gilt und somit bei der Berechnung des Bürgergeldes mindernd berücksichtigt werden darf. Entscheidend ist nach Auffassung der Richterinnen und Richter nicht, ob die betroffene Person das Angebot tatsächlich annimmt oder darauf verzichtet. Diese Entscheidung bestätigt die bisherige Praxis vieler Jobcenter, Sachleistungen wie Essen oder Getränke als Einkommen zu werten – auch wenn Beschäftigte diese Leistungen nicht nutzen.
Im zugrundeliegenden Fall ging es um einen Berliner Kellner, der im Schichtdienst vollzeitbeschäftigt war. Trotz seines Einkommens reichte sein Lohn nicht aus, um den Lebensunterhalt für sich selbst sowie seine Ehefrau und drei Kinder zu sichern; eines davon ist behindert. Deshalb beantragte er ergänzende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch , dem sogenannten Bürgergeld. Sein Arbeitsvertrag sah werktags eine kostenfreie Mahlzeit sowie ein Getränk vor.
Das zuständige Jobcenter bewertete diesen Sachbezug mit einem monatlichen Wert von 30,18 Euro leistungsmindernd an. Der Kellner klagte gegen diese Anrechnung mit dem Argument, er habe die Mahlzeiten gar nicht in Anspruch genommen und stattdessen lieber mit seiner Familie gegessen. Sowohl das Sozialgericht Berlin als auch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wiesen seine Klage ab.
In der Revision bestätigte das BSG unter dem Aktenzeichen B 4 AS 83/20 R diese Entscheidungen: Ausschlaggebend sei allein die Tatsache, dass der Arbeitgeber die Mahlzeit zur Verfügung gestellt habe und sie für den Arbeitnehmer zugänglich gewesen sei – unabhängig davon, ob dieser sie tatsächlich konsumiert habe oder nicht.
Die Richterinnen und Richter verwiesen darauf, dass nur eine Änderung des Arbeitsvertrags dieses Problem lösen könne: Solange ein Sachbezug vertraglich vereinbart ist, zählt dieser rechtlich zum Einkommen des Arbeitnehmers.
Gesetzlicher rahmen zur anrechnung geldwerter vorteile im sozialrecht
Die Anrechnung kostenloser Arbeitgeberspeisen erfolgt auf Grundlage der Regelungen zu Einnahmen in Geldeswert gemäß SGB II sowie den dazugehörigen Verordnungen. Der Gesetzgeber definiert damit klar: Nicht nur direkte Geldleistungen mindern den Anspruch auf staatliche Unterstützung; auch geldwerte Vorteile wie kostenlose Verpflegung sind relevant.
In der Praxis orientieren sich viele Jobcenter an amtlichen Sachbezugswerten für Verpflegungskosten beziehungsweise Essenszuschüsse. Diese Werte werden jährlich festgelegt und spiegeln wider, welchen finanziellen Vorteil eine bereitgestellte Mahlzeit statistisch betrachtet darstellt.
Der konkrete Betrag wird dabei pauschal angesetzt – unabhängig davon also etwaige individuelle Unterschiede bei Nutzung oder Qualität bestehen könnten. Dies soll Verwaltungsaufwand reduzieren und Rechtssicherheit schaffen.
Der Fall verdeutlicht zudem strukturelle Herausforderungen im Niedriglohnsektor: Dass ein vollzeiterwerbstätiger Kellner trotz Mindestlohn ergänzende staatliche Leistungen benötigt zeigt deutlich finanzielle Engpässe vieler Erwerbstätiger mit Familienverpflichtungen auf.
Während das Urteil ausschließlich eine Rechtsfrage beantwortet hat – nämlich wie Sachbezüge sozialrechtlich zu behandeln sind –, bleibt offen welche sozialpolitischen Maßnahmen notwendig wären um solche Situationen grundlegend zu verbessern beziehungsweise Armut trotz Erwerbsarbeit wirksam entgegenzuwirken.
Folgen des urteils für beschäftigte mit bürgergeld-anspruch
Für Menschen mit Anspruch auf Bürgergeld bedeutet dieses Urteil praktische Konsequenzen: Wer vertraglich einen Anspruch auf kostenlose oder vergünstigte Sachleistungen besitzt muss damit rechnen, dass deren Wert durch das Jobcenter angerechnet wird – selbst wenn diese Vorteile gar nicht genutzt werden wollen oder können.
Dies kann den monatlichen Leistungsanspruch erheblich mindern und führt dazu, dass vermeintliche Zusatzleistungen letztendlich weniger finanzielle Entlastung bringen als erwartet beziehungsweise gewünscht wird. Die gängige Praxis mancher Beschäftigter einfach darauf zu verzichten schützt daher nicht vor Kürzungen durch Leistungsträger wie Jobcentern oder Sozialämtern.
Folglich verschiebt sich ein Teil des Konflikts nun verstärkt in Betriebe hinein: Beschäftigte könnten versuchen vertragliche Klauseln über kostenlose Verpflegung streichen zu lassen bzw., falls möglich neu auszuhandeln – was wiederum arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen provozieren kann zwischen Arbeitnehmervertretungen einerseits sowie Arbeitgebern andererseits.
Diese Entwicklung könnte insbesondere Betriebsräte sowie Gewerkschaften vor neue Herausforderungen stellen hinsichtlich Beratung von Mitgliedern bezüglich Vertragsgestaltung im Kontext von Aufstocker-Leistungen aus dem SGB II-System.
Handlungsoptionen bei sachbezuegen statt barlohn
Das Bundessozialgericht weist indirekt darauf hin: Eine Möglichkeit zur Umgehung dieser Anrechnungsregel besteht darin den Arbeitsvertrag entsprechend anzupassen bzw., bestehende Vereinbarungen über kostenfreie Mahlzeiten abzuschaffen beziehungsweise durch Barlohnersatzzahlungen auszutauschen.
Eine solche Vertragsänderung stellt jedoch keine einfache Lösung dar; viele Unternehmen betrachten kostenlose Mitarbeiterverpflegung weiterhin als festen Bestandteil ihres Vergütungssystems – oft verbunden mit steuerlichen Vorteilen – weshalb sie wenig Bereitschaft zeigen dürften entsprechende Regelungen freiwillig zurückzunehmen.
Beschäftigte sollten daher gemeinsam mit Betriebsräten sowie Gewerkschaften prüfen ob alternative Modelle denkbar sind etwa Umwandlung von Sachbezügen in zusätzliche Lohnbestandteile ohne Verlust anderer tariflicher Ansprüche.
Auch Beratungsstellen können Unterstützung bieten bei Fragen rund um Rechte gegenüber Arbeitgebern ebenso wie zum Umgang mit Behörden bezüglich korrekter Leistungsberechnung beim Bürgergeld.
Letztendlich bleibt festzuhalten: Nur wer sicherstellt, dass kein geldwerter Vorteil mehr besteht, kann verhindern, dass entsprechende Werte künftig noch angerechnet werden. Dies setzt jedoch meist aktive Mitwirkung aller Beteiligten voraus einschließlich konstruktiver Gespräche am Arbeitsplatz über mögliche Anpassungen bestehender Verträge.