Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat am 23. Juli eine umfassende Stellungnahme zum Klimaschutz veröffentlicht, die das Recht auf eine saubere und nachhaltige Umwelt als Menschenrecht anerkennt. Das Gutachten betont die völkerrechtliche Verpflichtung der Staaten, erhebliche Umweltschäden zu verhindern und die Erderwärmung einzudämmen.
Menschenrecht auf umwelt als grundlage für klimarechtliche verpflichtungen
Der IGH stellte klar, dass eine „saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt“ ein grundlegendes Menschenrecht darstellt. In seiner mehr als 500 Seiten umfassenden Stellungnahme bezeichnete das Gericht den Klimawandel als „universelle und ernstzunehmende Bedrohung“ für die Weltgemeinschaft. Daraus leite sich eine völkerrechtliche Pflicht aller Staaten ab, Maßnahmen gegen erhebliche Umweltschäden zu ergreifen sowie die globale Erwärmung aktiv zu begrenzen.
Besonders hervorgehoben wurden dabei westliche Industriestaaten, denen aufgrund ihres historischen Ausstoßes von Treibhausgasen eine besondere Verantwortung zukomme. Der IGH bekräftigte zudem die Verbindlichkeit des im Pariser Klimaabkommen von 2015 festgelegten Ziels einer maximalen Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit.
Das Gutachten stellt klar: Werden keine geeigneten Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels ergriffen, kann dies völkerrechtswidrig sein. Betroffene Länder könnten demnach Anspruch auf Entschädigung haben – wobei Art und Umfang solcher Ansprüche individuell entschieden werden müssten.
Diese Rechtsauffassung könnte weitreichende Folgen für internationale Klimapolitik haben und stellt einen bedeutenden Schritt zur Stärkung des internationalen Klimarechts dar.
Initiatoren aus pazifikregion fordern entschädigung wegen steigender meeresspiegel
Die Initiative für das Gutachten geht zurück auf die Studierendenorganisation Pacific Islands Students Fighting Climate Change . Deren Mitglieder wollten bereits 2019 „das größte Problem der Welt zum höchsten Gericht der Welt bringen“, wie Romabeth Siri erklärte. Formal wurde das Verfahren durch die Regierung des Inselstaates Vanuatu eingeleitet – einem Land mit besonders hoher Verwundbarkeit gegenüber den Folgen der globalen Erwärmung.
Durch den steigenden Meeresspiegel versinken Teile Vanuatus allmählich im Ozean; zahlreiche Bewohner müssen ihre Heimat verlassen oder umsiedeln. Zudem richtete Zyklon Pam im Frühjahr 2015 schwere Schäden an Infrastruktur und Lebensgrundlagen an. Die pazifischen Inselstaaten fordern deshalb finanzielle Entschädigungen von Industrienationen für durch den Klimawandel verursachte Schäden.
Im Jahr 2023 beauftragte schließlich die UN-Vollversammlung den IGH mit zwei zentralen Fragen: Ob Staaten verpflichtet sind, auch künftige Generationen vor Treibhausgasemissionen zu schützen; sowie welche rechtlichen Konsequenzen drohen können, wenn Staaten klimaschädliches Verhalten zeigen oder nicht verhindern.
Das Verfahren war kein klassischer Rechtsstreit zwischen Parteien, sondern ein abstraktes Gutachten zur Klärung völkerrechtlicher Grundsätze – dessen Empfehlungen jedoch politische Signalwirkung entfalten können.
Rechtliche bedeutung des gutachtens
Obwohl das IGH-Gutachten nicht bindend ist wie ein Urteil in einem Gerichtsverfahren, besitzt es große Bedeutung für zukünftige Klima-Klagen weltweit. Experten sehen darin einen möglichen Wendepunkt bei der Entwicklung internationalen Umwelt- und Menschenrechtsrechts.
So schreibt etwa das Fachmagazin Legal Tribune Online, dass dieses Gutachten „zur Rechtsfortbildung beitragen“ könne – denn kein Gericht könne ein solches völkerrechtliches Dokument einfach ignorieren. Der Völkerrechtler Markus Gehring betont: „Kein Gericht kann ein völkerrechtliches Gutachten des Internationalen Gerichtshofs einfach ignorieren.“
In Deutschland verweist man weiterhin vor allem auf das Pariser Abkommen als zentrales Vertragswerk zum Schutz vor dem Klimawandel. Der Völkerrechtler Andreas Zimmermann erklärt dazu: „Staaten, die das Pariser Abkommen erfüllen, erfüllen gleichzeitig ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen.“ Zur Frage einer direkten Verantwortung Deutschlands gegenüber Bewohnern anderer Staaten führt er aus: Die Hoheitsgewalt eines Staates gelte nur innerhalb seines eigenen Territoriums beziehungsweise seiner Staatsbürgerinnen und -bürgern.
Bis Ende Juni 2024 wurden laut Forschungsinstitut Grantham fast 3 000 Klagen rund um Klimaschutzfragen in fast sechzig Ländern eingereicht – Tendenz steigend. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im Jahr 2021 entschieden, dass unzureichender Klimaschutz Freiheitsrechte künftiger Generation beeinträchtigt; damit erhielt das Recht auf wirksamen Schutz vor Erderwärmung Verfassungsrang in Deutschland zugesprochen.
Ergänzende gutachten stärken rechtsverpflichtungen gegen klimaschäden
Neben dem IGH-Gutachten veröffentlichte auch der Internationale Seegerichtshof im Mai 2024 wichtige Feststellungen zum Umgang mit klimaschädlichen Emissionen unter internationalem Rechtsschutz:
Er stellte fest, dass CO2-Emissionen als Meeresverschmutzung gelten können; daraus folgt eine klare Rechtsverpflichtung aller Küstenstaaten zur Verringerung dieser Verschmutzung durch geeignete Maßnahmen gemäß internationalem Seerechtsschutzsystem .
Diese Schutzpflicht sei nicht allein an Vorgaben aus dem Pariser Abkommen oder Regelwerke wie UNFCCC gebunden, sondern habe eigenständigen Charakter nach Seevölkergewohnheitsrechten sowie bestehenden Verträgen über Meeresumweltschutz.
Damit wächst sowohl politischer Druck als auch juristische Handhabe gegen Untätigkeit beim Kampf gegen menschengemachte Erderwärmung weiter an – was gerade vulnerable Regionen wie Pazifikinseln unmittelbar betrifft.