Die Nutzung von Social Media, Messenger-Diensten und Smartphones führt zu einer ständigen Reizüberflutung unseres Gehirns. Neurowissenschaftler Dr. Boris Nikolai Konrad erklärt, welche Auswirkungen diese digitalen Impulse auf die Konzentration und das Wohlbefinden haben – und gibt Tipps für notwendige Pausen.
Digitale reizüberflutung: was passiert im gehirn bei dauerhafter stimulation?
Das Gehirn ist evolutionär darauf ausgelegt, Informationen zu filtern. Nur ein Bruchteil der Sinneseindrücke gelangt bewusst ins Bewusstsein. Die heutige digitale Welt stellt das jedoch vor neue Herausforderungen: Pushnachrichten, blinkende Werbeanzeigen oder kurze Videos auf Plattformen wie TikTok überfordern das Gehirn durch ihre permanente Verfügbarkeit. Dr. Boris Nikolai Konrad, Neurowissenschaftler und Autor des Buchs Mehr Platz im Gehirn, beschreibt diesen Zustand als eine Art Überforderung: „Wer ständig Reize hat, wird das Gehirn überfordern.“
Im Alltag fehlt häufig die nötige Abwechslung zwischen Konzentration und Ruhephasen. Selbst vermeintliche Pausen werden oft mit digitalen Inhalten gefüllt – etwa beim Warten in der Bahn oder in der Mittagspause am Arbeitsplatz. Diese Dauerbeschallung führt dazu, dass wir uns erschöpft fühlen, den Fokus verlieren und unsere Merkfähigkeit abnimmt. Das sei kein Defekt des Gehirns, sondern ein Schutzmechanismus gegen Überlastung.
Besonders problematisch ist die schnelle Abfolge von kurzen Clips auf sozialen Netzwerken: Das Dopaminsystem wird immer wieder aktiviert – es entsteht eine Art Belohnungs-Loop im Sekundentakt durch neue visuelle Reize oder emotionale Inhalte. Im Vergleich wirken längere Filme oder Bücher langsam und weniger stimulierend.
Der Inhalt spielt dabei ebenfalls eine Rolle: Wenn Nutzer aktiv über Inhalte nachdenken oder Bezüge herstellen, erfolgt eine tiefere Verarbeitung im Gedächtnis. Wird hingegen nur schnell gescrollt ohne Reflexion , verhindert dies langfristige Verknüpfungen sowie Bedeutungserfassung.
Unterschiedliche folgen für kinder- und erwachsenenhirne bei digitaler reizüberflutung
Die Auswirkungen digitaler Medien unterscheiden sich je nach Altersgruppe deutlich – insbesondere zwischen Kindern und Erwachsenen. Kindergehirne befinden sich noch in der Entwicklung; sie sind besonders formbar aber auch anfällig für negative Einflüsse durch dauerhafte Reizüberflutung aus sozialen Medien oder Messengern wie WhatsApp.
Laut Dr. Konrad kann dies bleibende Folgen für Aufmerksamkeitsspanne, Impulskontrolle sowie Motivation haben – wichtige Fähigkeiten für schulisches Lernen sowie soziale Interaktion werden dadurch beeinträchtigt.
Erwachsene verfügen zwar über stabilere neuronale Strukturen als Kinder; dennoch sind auch sie nicht immun gegen die Effekte permanenter digitaler Stimulationen. Da ihr Gehirn während der Entwicklungszeit solchen Belastungen meist nicht ausgesetzt war, fehlt ihnen oft die Erfahrung im Umgang mit dieser Form von Ablenkung.
Das Oxford-Wort des Jahres 2024 „Brain Rot“ beschreibt bildhaft den Effekt einer falschen geistigen Ernährung durch Internetkonsum: Das Hirn verkümmert nicht wirklich; vielmehr wird es einseitig trainiert – ähnlich wie jemandem nur Fastfood serviert wird statt ausgewogener Kost.
Glücklicherweise besitzt das menschliche Gehirn Plastizität: Aufmerksamkeitsdefizite infolge hoher Bildschirmzeiten lassen sich meist wieder verbessern durch gezieltes Training etwa mittels Achtsamkeitsübungen oder Gedächtnistraining kombiniert mit ausreichend Bewegung.
Pausen vom smartphone nutzen zur stressreduktion und konzentrationsförderung
Regelmäßige Pausen vom Smartphone- beziehungsweise Social-Media-Konsum sind essenziell zur Erholung des Gehirns sowie Stressreduktion im Alltag – betont Dr. Boris Nikolai Konrad anlässlich des Tags des Gehirns am 22. Juli.
Unser Hirn wechselt zwischen verschiedenen Betriebsmodi; neben aktiver Informationsaufnahme gibt es einen sogenannten Ruhemodus . In diesem Zustand verarbeitet es zuvor Erlebtes weiter ohne dabei tatsächlich auszuruhen – Energieverbrauch bleibt konstant –, was heute vielfach vernachlässigt werde aufgrund fehlender echter Auszeiten von digitalen Reizen.
Schon kurze Digital-Detox-Phasen können messbar Stress reduzieren sowie anschließende Konzentrationsfähigkeit verbessern – wichtig gerade in Zeiten permanenter Ablenkung durch Apps wie Instagram oder TikTok mit ihren schnellen Belohnungsimpulsen.
Besonders bedeutsam ist ausreichender Schlaf als Phase intensiver interner Verarbeitung aller Eindrücke vom Tag davor – hier empfiehlt Dr. Konrad möglichst ungestörte Nachtruhe trotz familiärer Herausforderungen sicherzustellen .
Zur Reduzierung der Bildschirmzeit rät er zunächst zu mehr Bewusstsein gegenüber dem eigenen Nutzungsverhalten etwa mithilfe integrierter Zeitmessfunktionen auf Smartphones bzw. Tablets. Auch Apps, die vor dem Öffnen sozialer Netzwerke kurze Wartezeiten erzwingen, helfen unbewusstes Scrollen einzudämmen.
Diese Maßnahmen ermöglichen bewusste Entscheidungen zugunsten echter Pausen statt automatischer Nutzung nebenbei. So lässt sich das Gleichgewicht zwischen Belastung & Entspannung besser steuern.
Gehirnentlastung versus training: balance finden für optimale leistungsfähigkeit
Die zentrale Herausforderung besteht darin, das richtige Verhältnis zwischen Entlastung & Training fürs Hirn zu finden. Laut Dr. Boris Nikolai Konrad darf man weder dauerhaftes Dauerfeuer an Reizen zulassen noch sollte man sein Denkorgan gar nicht fordern.
Gedächtnistraining, Lesen, Lernen fördern kognitive Fähigkeiten ebenso wie ausreichend Schlaf, Bewegungsphasen & bewusste Ruhezeiten. Dieses Wechselspiel entspricht evolutionären Anpassungen unseres Nervensystems.
Nur so kann unser komplexes Organ trotz moderner Anforderungen weiterhin effizient funktionieren. Die Kunst liegt darin, Rhythmen einzuhalten: Phasen konzentrierter Aktivität wechseln sich ab mit echten Erholungsmomenten ohne digitale Ablenkungen.
Damit bleibt unser Geist flexibel & belastbar gegenüber neuen Herausforderungen sowohl beruflich als auch privat.