Die deutsche Stahlindustrie steht vor erheblichen Herausforderungen durch steigende Energiepreise, internationalen Preisdruck und politische Unsicherheiten. Die Rohstahlproduktion befindet sich auf einem Tiefstand, der zuletzt während der Finanzkrise 2009 erreicht wurde.
Rückgang der rohstahlproduktion und belastungen für die industrie
Die deutsche Stahlbranche verzeichnet im ersten Halbjahr 2025 einen deutlichen Rückgang bei der Rohstahlproduktion. Nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl sank die Produktion um knapp zwölf Prozent auf 17,1 Millionen Tonnen. Diese Entwicklung ist vor allem auf den starken Wettbewerb aus dem Ausland sowie eine schwächelnde Konjunktur zurückzuführen. Die Branche leidet unter hohen Kosten für energieintensive Produktionsprozesse, während gleichzeitig Billigimporte den Markt überschwemmen.
Der Zollstreit mit den USA verschärft die Situation zusätzlich: Durch Zölle und Handelshemmnisse entstehen weitere Unsicherheiten für die Unternehmen. Rund 88 000 Arbeitsplätze hängen direkt an dieser Industrie, deren wirtschaftliche Lage sich zunehmend zuspitzt. Die schwache Inlandsnachfrage aus wichtigen Abnehmerbranchen wie Baugewerbe, Maschinenbau und Automobilindustrie trägt ebenfalls zum Produktionsrückgang bei.
Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, beschreibt die Lage als dramatisch: „Der Produktionseinbruch in unserer Branche zeigt, wie dramatisch es um den Industriestandort Deutschland steht.“ Sie verweist darauf, dass das aktuelle Produktionsniveau dem Tiefpunkt während der Finanzmarktkrise von 2009 entspricht. Vor diesem Hintergrund fordert sie ein Spitzentreffen auf höchster politischer Ebene – einen sogenannten Stahlgipfel –, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.
Prognosen und sparmaßnahmen großer stahlkonzerne
Auch große Unternehmen wie die Salzgitter AG reagieren mit Anpassungen ihrer Geschäftsprognosen an das schwierige Marktumfeld. Nach einem schwachen zweiten Quartal senkte Salzgitter am Abend des 17.07.2025 seine Umsatzprognose für das Gesamtjahr von ursprünglich neun bis zehn Milliarden Euro auf nunmehr neun bis 9,5 Milliarden Euro ab. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen wird voraussichtlich zwischen 300 und 400 Millionen Euro liegen – deutlich unterhalb des bisherigen Prognosekorridors von 350 bis 550 Millionen Euro.
Diese negativen Aussichten führten zu starkem Verkaufsdruck an den Börsen: Die Aktie von Salzgitter fiel am folgenden Handelstag um mehr als sechzehn Prozent ab; auch Thyssenkrupp, ein weiterer bedeutender deutscher Stahlproduzent, verzeichnete Kursverluste von rund drei Prozent.
Bereits im ersten Quartal hatte sich gezeigt, dass eine Kombination aus konjunktureller Schwäche sowie einer sinkenden Nachfrage nach Stahlprodukten belastend wirkt – Investitionen vieler Industriekunden wurden aufgrund des Zollstreits mit den USA zurückgestellt oder ganz gestoppt.
Vor diesem Hintergrund haben sowohl Salzgitter als auch Thyssenkrupp ihre Sparprogramme deutlich verschärft beziehungsweise neu aufgelegt: Thyssenkrupp plant einen umfassenden Kapazitätsabbau in seiner Stahlsparte sowie Tausende Stellenstreichungen bis zum Jahr 2030 – von derzeit etwa 27 000 Beschäftigten sollen nur noch rund 16 000 übrigbleiben. Dies soll neben Personalabbau auch durch Auslagerung oder Verkauf einzelner Unternehmensbereiche erreicht werden.
Arbeitsbedingungen und investitionen in nachhaltigkeit
Die angespannte wirtschaftliche Lage wirkt sich auch direkt auf die Beschäftigten aus: Nach zähen Verhandlungen zwischen dem Management von Thyssenkrupp beziehungsweise Salzgitter sowie der Gewerkschaft IG Metall wurde ein harter Sparplan vereinbart. Dieser sieht eine durchschnittliche Einkommenssenkung um acht Prozent pro Arbeitnehmer vor – eine Maßnahme zur Kostensenkung angesichts rückläufiger Umsätze.
Parallel dazu stehen beide Unternehmen vor großen Herausforderungen hinsichtlich notwendiger Investitionen in klimafreundlichere Technologien zur Dekarbonisierung ihrer energieintensiven Herstellungsprozesse. Trotz hoher finanzieller Belastungen müssen sie ihre Werke langfristig umrüsten; diese Transformation ist entscheidend für zukünftige Wettbewerbsfähigkeit innerhalb Europas.
Allerdings hat Europas größter Stahlerzeuger ArcelorMittal kürzlich angekündigt, seine milliardenschweren Pläne zur Umstellung deutscher Werke auf „grünen Stahl“ zunächst auszusetzen – ein Zeichen dafür, wie stark die aktuelle Krise selbst große Konzerne beeinflusst und Investitionsentscheidungen verzögert werden können.