Eine aktuelle Studie der Harvard University analysiert die Geschlechterverteilung bei mehr als 14 000 Geburten in den USA. Dabei zeigt sich, dass in Familien mit mehreren Kindern das nächste Kind häufiger dasselbe Geschlecht hat wie seine älteren Geschwister.
Geschlechtschromosomen und geburtsstatistik: grundlagen der geschlechterverteilung
Das biologische Geschlecht eines Kindes wird durch die Kombination der Geschlechtschromosomen X und Y bestimmt. Die Eizelle trägt immer ein X-Chromosom, während Spermien entweder ein X- oder ein Y-Chromosom enthalten können. Daraus ergibt sich klassisch die Annahme, dass Jungen und Mädchen mit gleicher Wahrscheinlichkeit geboren werden – also eine fifty-fifty-Verteilung vorliegt.
Statistiken des Statistischen Bundesamts zeigen jedoch seit Jahrzehnten einen leichten Überschuss männlicher Lebendgeburten in Deutschland. So wurden etwa 1950 rund 40 000 mehr Jungen als Mädchen geboren, im vergangenen Jahr lag dieser Überschuss bei gut 18 000 Kindern. Der Anteil weiblicher Neugeborener liegt damit konstant etwa 1,5 Prozent unter einer Gleichverteilung.
Diese Abweichung ist international beobachtet und wird bislang nur vage erklärt. Eine mögliche Ursache ist das höhere Sterberisiko junger Männer sowie ihre geringere durchschnittliche Lebenserwartung gegenüber Frauen. Ein männlicher Geburtenüberschuss könnte demnach evolutionär bedingt sein, um diese Verluste auszugleichen.
Andere Faktoren wie Kriege oder Seuchen werden oft vermutet, um Schwankungen im Verhältnis zu erklären; belastbare Belege fehlen jedoch bisher für solche Zusammenhänge.
Familiengröße und geschwisterfolge beeinflussen wahrscheinlichkeit des geburtsgeschlechts
Neben biologischen Grundlagen spielen auch soziale Faktoren eine Rolle bei der Verteilung von Jungen und Mädchen innerhalb von Familien. Die Frage nach familiären Häufungen bestimmter Geschlechterfolgen wurde nun anhand umfangreicher Daten aus den USA untersucht.
Die Grundlage bildeten Daten aus der „Nurses’ Health Study“ , einer Langzeitstudie seit 1976 mit hunderttausenden Krankenschwestern als Teilnehmerinnen zur Erforschung gesundheitlicher Risiken von Frauen.
Für die Analyse wurden Zwillings- oder Mehrlingsgeburten ausgeschlossen sowie Fälle von Unfruchtbarkeit oder Früh- beziehungsweise Totgeburten herausgefiltert. Auch Mütter mit nur einem Kind blieben unberücksichtigt, da es um Muster innerhalb größerer Familien ging.
So konnten insgesamt 58 007 Frauen mit zusammen 146 046 Geburten ausgewertet werden – eine sehr große Datengrundlage für statistische Aussagen über das Geburtsgeschlecht in Abhängigkeit von vorherigen Kindern derselben Familie.
Die Ergebnisse zeigen klare Tendenzen: Je größer eine Familie war, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass das nächste Kind das gleiche Geschlecht hatte wie seine älteren Geschwister.
Beispielsweise lag die Chance auf einen vierten Jungen nach drei bereits geborenen Jungen bei 61 Prozent; entsprechend betrug sie für ein weiteres Mädchen nach drei Schwestern 58 Prozent.
Diese Werte weichen deutlich vom reinen Zufall ab und deuten darauf hin, dass es innerhalb kinderreicher Familien zu einer gewissen Bevorzugung eines bestimmten Geschlechts kommt – zumindest statistisch betrachtet.
Biologie hinter dem phänomen: warum eizellen nicht rein zufällig spermien auswählen
Die Ursachen für diese Abweichungen sind noch nicht vollständig geklärt; fest steht aber inzwischen durch experimentelle Befunde: Das Zusammentreffen von Spermium und Eizelle erfolgt nicht vollkommen zufällig oder gleichverteilt hinsichtlich des Chromosoms X oder Y beim Spermiumträger.
Man kann sagen: Eizellen sind wählerisch. Nur etwa tausend von einer Million Spermien schaffen es überhaupt bis zur Eizelle; dabei spielt neben Geschwindigkeit auch chemische Kommunikation zwischen beiden Partnern eine entscheidende Rolle für den Erfolg der Befruchtung.
Ein besonders schnelles Spermium hat also keine Garantie auf Befruchtungserfolg – vielmehr müssen Signale zwischen Ei- und Samenzelle stimmig sein, was möglicherweise bestimmte Präferenzen begünstigt beziehungsweise ausschließt.
Diese Erkenntnisse werfen neues Licht auf komplexe Mechanismen hinter dem biologischen Prozess der Fortpflanzung sowie auf Variationen in den natürlichen Wahrscheinlichkeiten des Geburtsgeschlechts insbesondere bei größeren Familienstrukturen.