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Führungsstil oder systemfehler? klagen über machtmissbrauch an deutschen bühnen am beispiel essen und hamburg

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Die Vorwürfe von Mobbing und Machtmissbrauch an deutschen Bühnen nehmen zu. Am Aalto-Musiktheater Essen sowie der Hamburger Staatsoper stehen künstlerische Leitungen im Fokus, nachdem Ensemble-Mitglieder ein vergiftetes Arbeitsklima beklagten. Die Debatte wirft Fragen zu individuellen Verantwortlichkeiten und strukturellen Problemen im Kulturbetrieb auf.

Vorwürfe gegen die leitung am aalto-musiktheater in essen

Am Aalto-Musiktheater Essen hat sich das Opern-Ensemble öffentlich gegen die künstlerische Leitung gewandt. Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti und Opern-Intendantin Merle Fahrholz werden von Mitgliedern des Ensembles schwer belastet. Die Vorwürfe reichen von Mobbing über ein toxisches Arbeitsklima bis hin zu einem künstlerischen Niedergang des Hauses. Diese Anschuldigungen haben eine breite Diskussion ausgelöst, da sie nicht nur einzelne Personen betreffen, sondern auch grundlegende Fragen zur Führungskultur an deutschen Theatern aufwerfen.

Das Ensemble kritisiert insbesondere den Führungsstil von Sanguineti scharf. Einige Mitglieder sprechen von systematischer Herabwürdigung und willkürlichen Entscheidungen bei Besetzungen, was das Vertrauen in die Leitung erschüttert habe. Trotz dieser massiven Kritik entschied der Aufsichtsrat der Theater und Philharmonie Essen , dass sowohl Intendantin Fahrholz als auch Generalmusikdirektor Sanguineti weiterhin im Amt bleiben sollen. Die Aufsichtsratsvorsitzende Barbara Rörig betonte gegenüber dem WDR, dass die erhobenen Vorwürfe „nicht justiziabel“ seien und daher keine vorzeitige Abberufung gerechtfertigt sei.

Allerdings wurde angekündigt, dass die Verträge beider Führungskräfte nicht über das Jahr 2027 hinaus verlängert werden sollen. Das Orchester müsse nun „professionell mit der Situation umgehen“, so Rörig weiter – eine Aufforderung, die angesichts bestehender Spannungen innerhalb des Ensembles auf Skepsis stößt.

Der Fall Essen steht exemplarisch für einen Konflikt zwischen künstlerischer Freiheit einerseits und dem Schutz der Mitarbeitenden andererseits. Er zeigt zugleich Grenzen institutioneller Kontrollmechanismen auf: Obwohl erhebliche Unzufriedenheit besteht, sind juristische Schritte bislang ausgeblieben oder schwierig umzusetzen.

Vergleichbare konflikte an anderen deutschen theaterspielstätten

Die Vorgänge am Aalto-Musiktheater erinnern stark an den Skandal um den ehemaligen Generalintendanten des Hamburg Balletts, Demis Volpi, dessen Führungsstil ebenfalls als manipulativ und übergriffig kritisiert wurde. Im Mai und Juni 2025 hatten Mitarbeitende schwere Vorwürfe erhoben; mehrere Ensemble-Mitglieder kündigten daraufhin ihre Verträge vorzeitig.

Im Gegensatz zu Essen reagierte man in Hamburg schneller: Volpi wurde vom Amt entbunden – eine Entscheidung mit Signalwirkung für andere Häuser in Deutschland. Volpi selbst äußerte sich enttäuscht darüber, dass seine Visionen für zeitgemäße Strukturen nicht realisiert wurden: „Ich bedauere sehr, dass meine Vorstellungen sowohl künstlerisch als auch organisatorisch nicht umgesetzt werden konnten.“

Neben Hamburg gab es ähnliche Berichte aus Städten wie Kassel, Wien oder München – allerdings unterscheiden sich diese Fälle hinsichtlich Details erheblich voneinander. Häufig stehen Aussagen einzelner Betroffener gegen solche der Leitungsebene; viele Hintergründe bleiben unklar oder werden vertraulich behandelt.

Juristische Konsequenzen sind bisher selten ergangen; meist handelt es sich um interne Klärungsprozesse ohne öffentliche Verfahren oder gerichtliche Urteile.

Diese Entwicklungen verdeutlichen jedoch einen wachsenden öffentlichen Druck auf Theaterinstitutionen sowie ein gesteigertes Bewusstsein für problematische Machtstrukturen innerhalb kultureller Einrichtungen.

Machtmissbrauch versus fordernder führungsstil – rechtliche perspektiven

Der Begriff „Machtmissbrauch“ ist juristisch nicht eindeutig definiert – gerade im Kontext kultureller Institutionen herrscht hier Unsicherheit darüber, wann autoritäres Verhalten Grenzen überschreitet beziehungsweise straf- oder arbeitsrechtlich relevant wird.

Sexuelle Belästigung sowie Diskriminierung fallen unter das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz mit klar geregelten Sanktionen; dagegen existieren keine spezifischen gesetzlichen Normen zum Umgang mit Machtverhältnissen oder autoritärem Führungsverhalten per se.

Arbeitsrechtlich kann Machtmissbrauch dennoch relevant sein etwa bei systematischer Herabwürdigung von Beschäftigten durch Vorgesetzte oder bei willkürlichen Personalentscheidungen ohne nachvollziehbare Kriterien sowie Missachtung arbeitsvertraglicher Fürsorgepflichten seitens der Leitungspersonen.

Viele Betroffene äußern ihre Beschwerden anonym – dies liegt häufig daran, dass sie aufgrund befristeter Arbeitsverträge unter hohem Leistungsdruck stehen und Angst vor Repressalien haben könnten:

„In der Kulturbranche herrscht ein hoher Leistungsdruck bei gleichzeitig engem Markt“, erklärt WDR-Journalist Stefan Keim. „Viele Beschäftigte trauen sich deshalb nicht offen zu sprechen.“

Diese strukturellen Abhängigkeiten erschweren Transparenz ebenso wie effektive Intervention gegen Fehlverhalten durch Führungskräfte erheblich.

Strukturelle ursachen für probleme in theaterleitungen

Theaterwissenschaftler Thomas Schmidt von der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt hat umfangreiche Untersuchungen zum Thema veröffentlicht: Nach seinen Erkenntnissen handelt es sich weniger um Einzelfälle als vielmehr um systembedingte Probleme innerhalb vieler deutscher Theaterbetriebe.

Schmidt weist darauf hin: „An etwa jedem dritten bis vierten Theater sind die Machtverhältnisse in Spitzenpositionen grenzwertig.“ Ursache seien häufig veraltete Führungsstrukturen mit einer starken Konzentration von Verantwortung auf einzelne Personen wie Intendantinnen oder Generalmusikdirektoren.

Diese tragen oft allein Verantwortung für komplexe Organisationseinheiten mit mehreren Hundert Mitarbeitenden ohne standardisierte Eignungstests zur Überprüfung ihrer Qualifikation.

Im Gegensatz dazu gibt es beispielsweise in Zürich Assessment-Verfahren inklusive psychologischer Begleitung während anderthalb Tagen zur Auswahl geeigneter Kandidatinnen bzw. Kandidaten für Leitungsfunktionen.

Solche Instrumente könnten helfen Konflikte frühzeitig zu erkennen beziehungsweise gar nicht erst entstehen lassen.

Zudem bemängelt Schmidt fehlende demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten innerhalb vieler Häuser:

  • Während Orchester oft durch gewählte Gremien vertreten sind,
  • haben Schauspiel- beziehungsweise Opernensembles selten vergleichbare Strukturen,
  • was Ängste verstärkt, dass Kritik negative Folgen wie Nichtverlängerung des Vertrags nach sich ziehen könnte.

Diese Kombination aus hoher Verantwortung, fehlender Kontrolle und unsicheren Beschäftigungsbedingungen schafft laut Schmidt einen Nährboden für problematische Machtausübung.

Handlungsoptionen bei machtmissbrauch an theaterspielstätten

Betroffene sehen sich häufig großen Hürden gegenübergestellt, wenn sie ungerecht behandelt werden wollen.

Claudia Schmitz, geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins, weist darauf hin, dass viele Mitgliedshäuser inzwischen verpflichtend Beschwerdestellen eingerichtet haben:

„Es gibt interne Ansprechpartnerinnen sowie Ansprechpartner,“ erklärt Schmitz, die Anlaufstellen bieten können.

Darüber hinaus hätten zahlreiche Häuser Leitbilder entwickelt, die regeln, wie verantwortungsvoller Umgang mit Macht aussehen soll und welche Konsequenzen Verstöße nach sich ziehen können.

Der Deutsche Bühnenverein stellt zudem eine Toolbox bereit:

  • Checklisten
  • Good-Practice-Beispiele
  • Fortbildungen

zur Förderung eines werteorientierten Führungsstils.

Fehlen klare Regelungen am jeweiligen Haus, könne man Betriebs- beziehungsweise Personalräte einschalten.

Bei besonders schweren Fällen wie sexueller Belästigung sei zudem die bundesweite Themis-Vertrauensstelle zuständig.

Für allgemeinen Machtmissbrauch existiere derzeit jedoch keine externe bundesweite Anlaufstelle.

Dieser Umstand zeigt Lücken im Schutzsystem und verdeutlicht den Bedarf weiterer Reformmaßnahmen.

Wandel im kulturbetrieb durch öffentliche debatten

Obwohl viele aktuelle Fälle bislang keine juristischen Folgen hatten, beobachten Expertinnen und Experten einen Wandel hinsichtlich öffentlicher Aufmerksamkeit und institutionellem Druck.

Die Debatte erinnert teilweise an Bewegungen wie #MeToo; allerdings geht es hier überwiegend um strukturelle Machtdynamiken statt ausschließlich sexuelle Gewalt.

Theaterwissenschaftler Thomas Schmidt äußert dazu optimistisch:
„Ich bin überzeugt davon,“ sagt er, „dass Veränderungen möglich sind.“

Er betont aber zugleich:
„Veränderung geschieht nicht automatisch sondern benötigt Druck – sowohl intern als auch extern.“

In Hamburg scheint bereits Bewegung einzusetzen:

Kultursenator Carsten Brosda kündigte an, Beschäftigte stärker einzubeziehen beim Prozess zur Neubesetzung leitender Positionen an der Staatsoper.

Dies signalisiert Offenheit gegenüber partizipativen Ansätzen und könnte Modellcharakter für andere deutsche Bühnen erhalten.

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