Das Live-Aid-Konzert von 1985 gilt als eines der größten Benefiz-Events der Musikgeschichte. Ziel war es, Spenden für hungernde Menschen in Äthiopien zu sammeln. Vier Jahrzehnte später wird die Aktion von vielen Äthiopiern differenzierter betrachtet und teilweise kritisch bewertet.
Das live-aid-konzert und seine auswirkungen auf äthiopien
Am 13. Juli 1985 versammelte Bob Geldof internationale Stars in London und Philadelphia zu einem 16-stündigen Konzert, um auf die Hungersnot in Äthiopien aufmerksam zu machen. Die Bilder von Kindern mit Hungerbäuchen und ausgemergelten Körpern gingen um die Welt und prägten das Bild des Landes über Jahrzehnte hinweg. Diese Darstellung führte dazu, dass Äthiopien lange Zeit vor allem als Opferregion wahrgenommen wurde.
Die unmittelbare Wirkung des Konzerts war enorm: Über 100 Millionen US-Dollar an Spenden wurden gesammelt, hauptsächlich für Nahrungsmittelhilfe eingesetzt. Die schnelle Unterstützung rettete vielen Menschenleben in einer akuten Krisensituation. Dennoch kritisieren Experten wie David de Waal, Geschäftsführer der World Peace Foundation, dass Live Aid sich ausschließlich auf kurzfristige Hilfe konzentrierte und politische sowie militärische Ursachen der Hungersnot unbeachtet ließ – etwa den Einsatz von Hunger als Kriegswaffe.
Im Laufe der Jahre hat sich Äthiopien wirtschaftlich weiterentwickelt: Das Land gehörte zeitweise zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften weltweit, auch wenn weiterhin Herausforderungen bestehen. Die Lebenserwartung stieg seit dem Konzert deutlich an – von damals rund 38 Jahren auf heute knapp 68 Jahre.
Äthiopiens perspektive auf live aid und das bild des landes
Viele Äthiopier wünschen sich eine differenzierte Wahrnehmung ihres Landes statt des veralteten Bildes vom hungernden Afrika aus den Achtzigerjahren. Der bekannte Musiker Dawit Yifru, Vorsitzender des äthiopischen Musikverbands, betont: „Es hat sich viel getan und das sollte gezeigt werden.“ Er kritisiert zudem, dass bei Live Aid keine Künstler aus Äthiopien eingebunden waren – weder bei dem Konzert noch beim Band-Aid-Projekt „Do They Know It’s Christmas?“
Yifru selbst hatte bereits vor Live Aid ein eigenes Hilfsprojekt initiiert: Mit seiner Band veröffentlichte er ein Album zugunsten einer Organisation, die Nahrungsmitteltransporte ins Hungergebiet finanzierte. Er bedauert es, dass Geldof nie Kontakt suchte oder eine Zusammenarbeit anstrebte – so hätte auch die äthiopische Perspektive stärker berücksichtigt werden können.
Diese Kritik spiegelt einen Wunsch wider: weg vom stereotypen Bild eines hilflosen Kontinents hin zur Anerkennung eigener Initiativen und Fortschritte im Land selbst.
Kontroverse um bob geldofs rolle beim konzert
Bob Geldof wird bis heute mit Vorwürfen konfrontiert, er habe sich als „weißer Retter“ inszeniert – ein Narrativ vieler postkolonialer Debatten über westliche Hilfsaktionen in Afrika. Bei seinem Besuch in Flüchtlingslagern wurde er oft fotografiert mit Kindern an der Hand oder zwischen Leidtragenden stehend.
Geldof weist diese Kritik zurück; im Radio sagte er im vergangenen Jahr dazu: „Sind die einzigen Menschen, die auf eine Hungersnot in Afrika reagieren dürfen, schwarze Menschen? Und wenn die Menschen grün sind, dürfen dann nur Grüne reagieren?“ Seine Haltung zeigt den Konflikt zwischen gut gemeinter Hilfeleistung einerseits sowie Fragen nach Repräsentation und Selbstbestimmung andererseits.
Die Diskussion verdeutlicht auch grundsätzliche Herausforderungen humanitärer Aktionen: Wie kann man Solidarität leisten ohne stereotype Bilder zu reproduzieren? Wie lassen sich lokale Stimmen besser integrieren?
Langfristige folgen für entwicklungshilfe und wahrnehmung äthiopiens
Live Aid markierte einen Wendepunkt im Bewusstsein globaler Öffentlichkeit für humanitäre Krisen – gleichzeitig offenbarte es Schwächen klassischer Hilfsansätze durch kurzfristige Maßnahmen ohne nachhaltige Strategien gegen Ursachen wie Konflikte oder politische Instabilität.
Seitdem haben sich Konzepte der Entwicklungszusammenarbeit verändert; heutige Programme setzen verstärkt darauf, strukturelle Probleme anzupacken statt nur Symptome zu lindern. In diesem Kontext gewinnt auch das Einbeziehen lokaler Akteurinnen zunehmend Bedeutung.
Für viele Äthiopier ist wichtig geworden, nicht mehr allein durch Bilder vergangener Not definiert zu werden sondern ihre kulturelle Vielfalt sowie Fortschritte sichtbar machen zu können – etwa durch eigene Künstlerinnen oder wirtschaftliche Entwicklungen.
Das Jubiläum von Live Aid bietet Anlass zur Reflexion über Erfolge ebenso wie Grenzen internationaler Solidarität vor vierzig Jahren sowie darüber hinausgehende Wege gemeinsamer Verantwortung gegenüber Ländern wie Äthiopien heute.