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Ampelkoalition plant kürzungen beim bürgergeld – diw warnt vor gesellschaftlichen folgen

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Die Ampelkoalition beabsichtigt, das Bürgergeld zu reduzieren und Sanktionen auszuweiten. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung , Marcel Fratzscher, widerspricht dieser Politik vehement. Aktuelle Studien des DIW und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigen, dass Einsparungen bei Sozialleistungen langfristig höhere Kosten verursachen und die gesellschaftliche Spaltung verstärken.

Geplante kürzungen beim bürgergeld und ihre wirtschaftlichen folgen

Die Bundesregierung plant eine Reform, die das Bürgergeld einschränken sowie Sanktionen verschärfen soll. Marcel Fratzscher, Präsident des DIW, kritisiert diese Maßnahmen scharf. In seiner Kolumne in der ZEIT vom 7. Juli 2025 erläutert er, warum niedrigere Leistungen nicht nur den Konsum drosseln, sondern auch Chancen auf Bildung, Gesundheit und Arbeit verringern würden. Die Modellrechnungen seines Instituts zeigen: „Jeder Euro Kürzung mindert das Bruttoinlandsprodukt mittelfristig um etwa 1,30 Euro.“

Diese negative Wirkung entsteht durch fehlende Kaufkraft bei Betroffenen sowie steigende Folgekosten im Gesundheits- und Sozialbereich. Die geplanten Einsparungen könnten somit zu einer Spirale führen: Weniger Geld bedeutet geringeren Konsum; weniger Konsum schwächt Unternehmen; schwächere Unternehmen senken Investitionen; dies führt wiederum zu weniger Beschäftigungsmöglichkeiten.

Das Bürgergeld sichert derzeit Alleinstehenden einen Regelsatz von 563 Euro monatlich zu. Doch eine Auswertung von Haushaltsbüchern durch das DIW zeigt einen realen Mindestbedarf von rund 740 Euro für Grundkosten wie Wohnen, Energieversorgung, Ernährung sowie Mobilität auf – ein deutlicher Unterschied zum offiziellen Satz.

Diese Lücke zwingt viele Leistungsbeziehende zum Verzicht auf lebenswichtige Bedürfnisse oder zur Aufnahme zusätzlicher Hilfen wie Tafeln oder Suppenküchen. Über die Hälfte der befragten Eltern gibt an, selbst Mahlzeiten auszulassen zugunsten ihrer Kinder.

Insgesamt verdeutlicht diese Analyse eindrücklich: Eine Reduzierung der Leistungen würde nicht nur soziale Härten verschärfen sondern auch volkswirtschaftliche Schäden verursachen.

Soziale konsequenzen von sanktionen und mangelnder teilhabe

Neben den finanziellen Kürzungen sieht die Reform auch eine Ausweitung von Sanktionen vor – also Leistungskürzungen bei Pflichtverletzungen gegenüber dem Jobcenter. Eine Langzeitanalyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung begleitet über vier Jahre hinweg mehr als 125 000 Bürgergeld-Beziehende mit Sanktionserfahrung.

Das Ergebnis ist ernüchternd: Zwar finden sanktionierte Personen schneller wieder Arbeit – allerdings überwiegend im Niedriglohnsektor mit schlechteren Bedingungen als zuvor. Vier Jahre nach einer Strafe verdienen Männer durchschnittlich sieben Prozent weniger als nicht sanktionierte Vergleichspersonen; Frauen sogar acht Prozent weniger.

Zudem steigt ihr Risiko erneuter Arbeitslosigkeit um bis zu 28 Prozent an – ein Hinweis darauf, dass Sanktionen zwar kurzfristig Beschäftigung forcieren können aber langfristig negative Effekte haben.

Folgen für soziale teilhabe

Soziologische Untersuchungen am DIW zeigen zudem erhebliche Folgen für Teilhabechancen Betroffener: Drei Viertel empfinden ihr Leben als „nicht würdevoll“. Fast jeder zweite bricht Vereinsmitgliedschaften ab oder meidet Arztbesuche aus Kostengründen.

Dieses Rückzugsverhalten wirkt sich negativ auf politische Partizipation sowie Weiterbildungschancen aus – Faktoren mit direktem Einfluss auf Integration in den Arbeitsmarkt und gesellschaftliche Stabilität insgesamt.

Herausforderungen in jobcentern und bedarf an qualifizierungsmitteln

Die Situation in den Jobcentern spiegelt die Herausforderungen wider: Fallmanagerinnen betreuen oft über 150 aktive Fälle gleichzeitig bei knappen Budgets. Individuelle Fördermaßnahmen bleiben häufig Wunschdenken statt Realität aufgrund fehlender Ressourcen zur Qualifizierung oder psychologischen Begleitung der Leistungsbeziehenden.

Vor diesem Hintergrund fordert Marcel Fratzscher eine Verdopplung der Mittel speziell für Coaching-, Qualifizierungsprogramme sowie psychosoziale Unterstützung innerhalb der Jobcenter-Strukturen. Nur so lasse sich eine dauerhafte Rückkehr in existenzsichernde Arbeit realisieren statt kurzfristiger Beschäftigungsflucht ins Niedriglohnbeschäftigungssystem ohne Perspektive auf Aufstiegschancen oder nachhaltige Integration am Arbeitsmarkt.

Besonders betroffen sind alleinerziehende Mütter unter den etwa 800 000 erwerbstätigen Aufstockerhaushalten im System Bürgergeld . Fehlende Ganztagsbetreuung kombiniert mit niedrigen Löhnen erhöht hier deutlich das Risiko chronischer Armut trotz Erwerbsarbeit — ein Zustand sozialer Mehrfachbelastung bezeichnet als „Doppelverschulden“ seitens Staat wegen unzureichender Care-Infrastruktur plus finanzieller Kürzungspolitik laut DIW-Analysen.

Geringe kooperationsbereitschaft ist kein massenphänomen

Entgegen populärer Annahmen verweigerten im Jahr 2023 lediglich rund 16 000 Personen jegliche Kooperation mit Jobcentern — dies entspricht einem Anteil von lediglich circa 0,3 Prozent aller Leistungsbeziehenden im System Bürgergeld.

Für Fratzscher rechtfertigt dieses geringe Phänomen keinen Generalverdacht gegen alle Bezieherinnen beziehungsweise Bezieher staatlicher Unterstützungssysteme. Er mahnt davor, politisch motivierte Schuldzuweisungen gegenüber sogenannten „Arbeitsunwilligen“ zur Legitimation harter Einschnitte einzusetzen.

Solche pauschalen Vorurteile verzerren das Bild tatsächlicher Lebensrealitäten vieler Menschen, deren Probleme komplexer Natur sind. Stattdessen fordert er differenzierte Betrachtungsweisen, welche individuelle Ursachen berücksichtigen.

Warnung vor populistischen schuldzuweisungen gegen leistungsbeziehende

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung weist zudem darauf hin, dass diffamierende Kampagnen gegen Empfängerinnen beziehungsweise Empfänger sozialer Leistungen Ressentiments verstärken können. Wenn öffentliche Debatten dominieren, wonach „eigene Schuld“ Hauptgrund sei, sinkt Vertrauen in staatliche Fairness erheblich.

Dies gefährdet demokratische Prozesse: Ausgegrenzte Gruppen ziehen sich zurück, meiden politische Beteiligung. Soziale Spaltung vertieft sich weiter; Zusammenhalt wird geschwächt.

Eine sachgerechte Debatte müsse daher Faktenorientierung wahren ohne Stigmatisierung einzelner Bevölkerungsgruppen.

Investitionen in bildung und betreuung zahlen sich volkswirtschaftlich aus

Berechnungen des DIW belegen: „Jeder investierte Euro in Qualifizierungsmaßnahmen oder Kinderbetreuung reduziert langfristig Sozial‑und Gesundheitsausgaben um durchschnittlich etwa 1,70 Euro.“ Höhere Regelsätze stabilisieren lokale Märkte durch gesteigerte Nachfrage; zugleich erhöhen sie Steuereinnahmen mittel‑bis langfristig.

Wer heute Bürgergeld erhält, kann morgen Fachkraft sein — vorausgesetzt es bestehen ausreichende Unterstützungsangebote. Dies setzt jedoch angemessene finanzielle Ausstattung voraus statt Sparzwang.

Damit verbunden ist ein Appell an Politikgestaltung: Nachhaltige Investitionen sichern sozialen Frieden ebenso wie wirtschaftliches Wachstum nachhaltig ab.

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