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Erwerbsminderungsrente abgelehnt: Landessozialgericht Baden-Württemberg bestätigt sechs Stunden Arbeitsfähigkeit trotz Mehrfachdiagnosen

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Ein 52-jähriger Lagerist mit Asthma, Epilepsie, Diabetes, Schlafapnoe und Depression erhielt keine Erwerbsminderungsrente. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschied, dass er leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann.

Medizinische beurteilung und entscheidung des landessozialgerichts

Der Kläger, geboren 1972 und jahrelang als Lagerist tätig, beantragte eine Erwerbsminderungsrente aufgrund mehrerer schwerwiegender Diagnosen wie Asthma bronchiale, Epilepsie seit 2020 anfallsfrei sowie Diabetes mellitus. Nach längerer Arbeitsunfähigkeit bezog er zunächst Krankengeld und anschließend Arbeitslosengeld; seit Oktober 2023 erhält er Bürgergeld. Zwei stationäre Rehabilitationsmaßnahmen führten zu stark unterschiedlichen Einschätzungen seines Restleistungsvermögens: Die pulmologische Reha im Jahr 2021 attestierte ihm eine tägliche Leistungsfähigkeit von über sechs Stunden bei leichten Tätigkeiten. Im Gegensatz dazu bewertete die psychosomatische Reha im Jahr 2022 seine Belastbarkeit auf unter drei Stunden täglich.

Aufgrund dieser widersprüchlichen Befunde ließ die Deutsche Rentenversicherung zusätzliche Gutachten erstellen. Ein unabhängiger Psychiater bestätigte in seinem Sachverständigengutachten den stabilen Zustand der Organerkrankungen unter Therapie sowie das Fehlen schwerwiegender neurokognitiver Störungen. Die Epilepsie sei seit vier Jahren anfallsfrei; die Depression wurde als leichtgradig eingestuft. Insgesamt kam der Gutachter zu dem Ergebnis, dass der Kläger trotz qualitativer Einschränkungen – etwa Verzicht auf Akkordarbeit oder Schichtdienst sowie kein Einsatz von Leitern oder Maschinen – grundsätzlich mindestens sechs Stunden täglich arbeiten könne.

Die Rentenversicherung lehnte den Antrag ab; sowohl das Sozialgericht als auch das LSG bestätigten diese Entscheidung rechtlich einwandfrei. Das Gericht verwies dabei auf § 43 SGB VI: Entscheidend sei ausschließlich die quantitative Leistungsfähigkeit unter üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts. Wer dauerhaft mindestens sechs Stunden pro Tag arbeitsfähig bleibe, gelte nicht als erwerbsgemindert – unabhängig von aktuellen Marktgegebenheiten oder subjektiven Beschwerden.

Häufige missverständnisse bei mehreren diagnosen im rentenverfahren

Das Urteil verdeutlicht ein verbreitetes Missverständnis vieler Antragsteller: Die bloße Anzahl vorhandener Krankheiten führt nicht automatisch zur Anerkennung einer Erwerbsminderung. Vielmehr prüfen Rentenrichter drei zentrale Kriterien systematisch:

Erstens muss die Funktionsstörung objektiv nachweisbar sein durch aktuelle Laborwerte, bildgebende Verfahren oder dokumentierte Anfallsprotokolle – wie hier beim Fehlen eines relevanten Anfallsindex trotz bekannter Epilepsie oder fehlender Hypoxämien trotz Asthma.

Zweitens ist ein klarer Zusammenhang zwischen Krankheit und verminderter Arbeitsfähigkeit erforderlich. Im vorliegenden Fall stützte sich die psychosomatische Reha stark auf subjektive Konzentrationsklagen ohne Validierungstests; dagegen verwendete das spätere Sachverständigengutachten moderne Symptom-Validierungsverfahren mit deutlichen Hinweisen auf Übertreibung einzelner Beschwerden.

Drittens muss die Einschränkung voraussichtlich „nicht absehbar“ bestehen bleiben; gesetzlich genügt hierfür eine Prognose von mindestens sechs Monaten Dauerbeeinträchtigung . Da beim Kläger die Epilepsie seit fünf Jahren anfallsfrei verläuft und stabil behandelt wird, wertet das Gericht diese Erkrankung nicht als prognostisch belastend für eine dauerhafte Erwerbsminderung.

Diese differenzierte Prüfung zeigt deutlich: Nur wenn alle drei Voraussetzungen erfüllt sind – objektive Befunde vorliegen, der Zusammenhang zur Arbeitseinschränkung plausibel ist und keine Aussicht auf Besserung besteht –, kann eine Rente bewilligt werden.

Widersprüche in reha-berichten erschweren sozialmedizinische beurteilung

Rehabilitationskliniken verfolgen unterschiedliche Zielsetzungen bei körperlicher Stabilisierung beziehungsweise psychosozialer Entlastung ihrer Patienten; dies führt oft zu divergierenden Bewertungen des Restleistungsvermögens innerhalb kurzer Zeiträume mit variierenden Testmethoden und Beobachtungszeiträumen. So ergaben sich im Fall des Klägers zwei gegensätzliche Einschätzungen seiner täglichen Belastbarkeit zwischen über sechs beziehungsweise unter drei Stunden Arbeitstauglichkeit.

Vor Gericht gilt jedoch der Grundsatz der aktuellsten sowie methodisch besten Quelle für medizinische Entscheidungen in Sozialverfahren wie dem Erwerbsminderungsrentenantrag . Fehlende Harmonisierung fachübergreifender Befunde erzeugt Unsicherheiten bei Richtern und Gutachtern gleichermaßen – was letztlich zulasten des Antragstellers gehen kann.

Das LSG wies ausdrücklich darauf hin: Es obliegt nicht dem Gericht „Ermittlungen ins Blaue hinein“ anzustellen oder selbst neue Untersuchungen einzuleiten; vielmehr liegt es in der Verantwortung Versicherter bzw. ihrer Behandler aktiv Widersprüche auszuräumen sowie Therapien konsequent umzusetzen und deren Erfolge lückenlos zu dokumentieren.

Eine umfassende Abstimmung aller behandelnden Ärzte durch Fallkonferenzen fördert ein konsistentes Bild hinsichtlich Diagnosecodes, Schweregradbewertungen sowie Prognoseeinschätzungen aller Erkrankungen zugleich erheblich verbessern lässt sich so auch die Glaubwürdigkeit gegenüber Behörden deutlich steigern.

Praxisempfehlungen für einen erfolgreichen erwerbsminderungsantrag

Um den komplexen Anforderungen eines EM-Antrags gerecht zu werden empfiehlt es sich frühzeitig folgende vier Schritte umzusetzen:

Erstens sollten alle behandelnden Fachärzte zusammengebracht werden etwa durch gemeinsame Fallkonferenzen zum Austausch aktueller Berichte zwecks Vereinheitlichung von Diagnosen einschließlich ICD-Codes sowie abgestimmter Prognoseaussagen bezüglich Funktionsfähigkeiten am Arbeitsplatz;

Zweitens ist es essenziell sämtliche Therapieoptionen maximal auszuschöpfen inklusive regelmäßiger Medikamenteneinnahme gemäß ärztlicher Verordnung ebenso wie Teilnahme an empfohlenen Rehabilitationsmaßnahmen beziehungsweise psychotherapeutischen Sitzungen ohne Unterbrechung;

Drittens empfiehlt sich sorgfältige Führung einer chronologisch geordneten Befundmappe bestehend aus Laborwertübersichten, Arztbriefentlassberichten, bildgebenden Untersuchungen etc., um Verlaufskontinuität transparent darzustellen;

Viertens sollte man Funktionseinschränkungen quantifizieren mittels einfacher Tagesprotokolle beispielsweise zur Gehstrecke, Sitzdauer, Konzentrationszeit ohne Pause etc., welche regelmäßig ärztlich gegenzeichnet werden können;

Ein gut strukturierter A4-Ordner mit klar gegliederten Registern erhöht nachweisbar Glaubwürdigkeit gegenüber Sozialgerichten laut Erfahrungen diverser Sozialverbände erheblich.

Fristen beachten bürgergeldregelung am arbeitsmarkt beachten kostenfreie beratung nutzen

Nach Ablehnung eines EM-Antrags enthält jeder Bescheid zwingend eine Rechtsbehelfsbelehrung mit Fristen zum Widerspruch gegen den Bescheid bei der Rentenkasse bzw., falls dieser erfolglos bleibt innerhalb weiterer drei Monate Klagefrist vor dem zuständigen Sozialgericht einzuhalten sind. Diese Fristen müssen unbedingt eingehalten werden, sonst wird Ablehnung rechtskräftig. Bei Krankheit, Klinikaufenthalt o.Ä. empfiehlt sich sofortige Beantragung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mitsamt ärztlichem Attest um Fristversäumnisse rückwirkend korrigieren lassen zu können;

Der Kläger verbleibt derzeit im Bürgergeldsystem. Das Jobcenter darf ihn nur Stellen vermitteln, welche seinen gesundheitlichen Einschränkungen entsprechen. Laut aktueller Fachanweisung Bundesagentur für Arbeit gelten leichte Tätigkeiten, insbesondere solche ohne ständiges Heben schwerer Lasten über zehn Kilogramm, keine extreme Hitze, Kälte, Schichtarbeit. Als Betroffener besteht Möglichkeit Überprüfungsanträge gegen unzumutbare Vermittlungsvorschläge einzureichen. Dieses Urteil liefert dafür wichtige Orientierung, indem es konkrete Ausschlusskriterien gefährlicher Arbeiten benennt;

Kostenlose Unterstützung bieten bundesweite Verbände wie VdK mit Prozessvertretungsmöglichkeiten ebenso unabhängige Beratungsstellen EUTB für Fragen rund um Rehabilitation, Teilhabe. Online-Plattform Tacheles e.V. stellt praktische Erfahrungsberichte, Musterschreiben bereit. Regionale Initiativen offerieren häufig kostenlose Anwaltssprechstunden speziell für Erwerbslose.

Entscheidendes kriterium ist konsistente dokumentation statt diagnosefülle

Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg macht unmissverständlich klar: Nicht allein Anzahl vorhandener Diagnosen entscheidet über Anspruch auf Erwerbsminderungsrente sondern maßgeblich deren messbarer Einfluss auf tägliche Leistungsdauer verbunden mit vollständigem Ausschöpfen sämtlicher Therapieoptionen. Ein konsistentes fachübergreifendes Befundbild welches klare funktionelle Einschränkungen nachvollziehbar darstellt gilt als härteste Währung im Verfahren zur Feststellung dauerhafter Minderung der Erwerbsfähigkeit. Wer einen solchen Antrag vorbereitet sollte deshalb möglichst frühzeitig beginnen medizinische Dokumentationen harmonisieren, Therapieverläufe lückenlos belegen, jede gesetzliche Frist genau überwachen. Nur so lassen sich widersprüchliche Gutachten vermeiden welche ansonsten zum Scheitern führen können. Wie hier demonstriert bleibt dann oft nur noch das Jobcenter zuständig statt einer Rente gewährt wird.

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