Die Bundesregierung hatte rund 2 400 Afghaninnen und Afghanen, die sich durch ihre Arbeit für westliche Institutionen oder gegen die Taliban gefährdet hatten, eine Aufnahmezusage erteilt. Viele Geflüchtete verließen Afghanistan in Richtung Pakistan, um von dort aus nach Deutschland zu gelangen. Nun hat das Berliner Verwaltungsgericht entschieden, dass diese Zusagen rechtlich bindend sind und Visa zur Einreise erteilt werden müssen.
Rechtliche entscheidung stärkt rechte afghanischer aufnahmeberechtigter
Das Berliner Verwaltungsgericht hat mit einer Eilentscheidung klargestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland einer afghanischen Staatsangehörigen und ihren Familienmitgliedern Visa zur Einreise erteilen muss. Diese Personen hatten im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan bereits eine Aufnahmezusage erhalten. Die Klägerin ist eine Wissenschaftlerin und Schriftstellerin aus Afghanistan, die sich derzeit in Islamabad aufhält. Sie hatte ihre Zusage bereits im Jahr 2023 erhalten.
Diese Entscheidung markiert die zweite juristische Niederlage der Bundesregierung im Zusammenhang mit ihrem verschärften Asylkurs innerhalb weniger Wochen. Bereits Anfang Juni erklärte dasselbe Gericht mehrere Asylzurückweisungen als rechtswidrig – ebenfalls in konkreten Einzelfällen. Das Gericht betont nun erneut, dass es nicht nur um einzelne Fälle geht: Die Praxis der Regierung wird insgesamt kritisch bewertet.
Zwar steht es der Bundesrepublik frei zu entscheiden, ob sie das Aufnahmeprogramm fortführt oder neue Zusagen verweigert; bereits erteilte Zusagen seien jedoch rechtlich bindend und können nicht einfach zurückgenommen werden. In den vorliegenden Fällen liegen keine Sicherheitsbedenken vor; Identitäten sind weitgehend geklärt und bei einer Abschiebung nach Afghanistan bestünde erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen.
Der Fall spiegelt ein größeres Problem wider: Viele Menschen sitzen seit Monaten in Pakistan fest – oft ohne Aussicht auf weitere Sicherheitsinterviews oder Fortschritte beim Verfahren –, obwohl ihre Schutzbedürftigkeit anerkannt ist oder schnell geklärt werden könnte.
Politische reaktionen innerhalb der bundesregierung auf gerichtsurteil
Die Entscheidung des Gerichts ist noch nicht endgültig rechtskräftig; gegen den Beschluss kann Beschwerde eingelegt werden. Dennoch wird sie als Signal gewertet: Tilmann Röder, ehemaliger Leiter der Fallbearbeitung bei der Koordinierungsstelle des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan, bezeichnet das Urteil als „starke Signalwirkung“. Röder war im Auftrag des Bundesinnenministeriums tätig und kennt die Abläufe genau.
Innerhalb der Regierungskoalition sorgt das Urteil für Diskussionen: Vor allem aus Reihen der SPD kommt Kritik an Innenminister Alexander Dobrindt . Adis Ahmetovic, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion erklärt: „Das Urteil bestätigt klar, dass gegebene Zusagen rechtlich bindend sind – und politisch eingehalten werden müssen.“ Die SPD bekenne sich ausdrücklich zu ihrer Verantwortung gegenüber ehemaligen Ortskräften sowie besonders bedrohten Menschen aus Afghanistan.
Auch Schahina Gambir von den Grünen äußert sich deutlich: „Klarer hätte das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin nicht ausfallen können.“ Sie fordert Konsequenzen statt weiterer Verzögerungen bei Umsetzung zugesagter Aufnahmen. Gambir kritisiert scharf das Vorgehen einiger Regierungsstellen: Es sei ein Skandal, wenn Menschen trotz festgestellter Schutzbedürftigkeit ihrem Schicksal überlassen würden. Dass Betroffene ihr Recht erst einklagen müssten, zeige ein bedenkliches Rechtsverständnis seitens der Bundesregierung.
Demgegenüber betonte Außenminister Johann Wadephul , man halte selbstverständlich alle rechtsverbindlichen Aufnahmezusagen ein. Gleichzeitig prüfe man aber weiterhin Möglichkeiten zur Aussetzung freiwilliger Aufnahmeprogramme – was auch vom Innenministerium unter Dobrindt bestätigt wurde.
Menschenrechtliche implikationen eines neuen rechtsgutachtens
Ein kürzlich veröffentlichtes Rechtsgutachten des Strafverteidigers Robert Brockhaus wirft weitere Fragen zum Umgang mit den wartenden Geflüchteten in Pakistan auf. Demnach könnten Mitglieder der Bundesregierung strafrechtlich belangt werden, wenn sie mehr als 2 000 Männer sowie Frauen und Kinder mit gültigen Aufnahmezusagen ihrem Schicksal überließen statt ihnen Schutz zu gewähren.
Das Gutachten stellt heraus, dass es sich um eine klare Pflichtverletzung handeln würde angesichts bekannter Gefahrenlage sowie verbindlicher staatlicher Verpflichtungen gegenüber besonders gefährdeten Personen aus Afghanistan. Diese Einschätzung erhöht den Druck auf politische Entscheidungsträger erheblich – sowohl juristisch als auch moralisch –, endlich wirksame Maßnahmen umzusetzen statt Programme auszusetzen oder Verfahren einzufrieren.
Die Situation bleibt angespannt: Während viele Geflüchtete weiterhin ohne Perspektive ausharren müssen, wächst zugleich die Forderung nach konsequenter Umsetzung bestehender Verpflichtungen zum Schutz besonders gefährdeter Menschen aus dem Krisengebiet Afghanistan durch deutsche Behörden deutlich an.