Der Menschenrechtsanwalt Michael Sfard aus Tel Aviv vertritt sowohl Palästinenser als auch israelische politische Aktivisten vor Gericht. Inmitten der aktuellen Spannungen im Nahen Osten warnt er davor, dass der Fokus auf einen möglichen Krieg mit Iran die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Gaza und dem Westjordanland verdeckt.
Aktuelle situation im westjordanland und gaza aus sicht von michael sfard
Die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit richtet sich derzeit stark auf den drohenden Konflikt zwischen Israel und Iran. Dabei gerät die Lage in den palästinensischen Gebieten zunehmend aus dem Blickfeld. Michael Sfard betont, dass bereits seit längerer Zeit kaum noch Beachtung auf das Westjordanland gelenkt wird, obwohl dort systematisch palästinensische Dörfer geräumt werden. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation B’tselem wurden seit Beginn des Gaza-Krieges rund 60 Dörfer von ihren Bewohnern vertrieben.
Sfard berichtet von einem besonders drastischen Fall: Das gesamte Dorf Halat al-Daba wurde kürzlich durch israelische Behörden abgerissen – ein Vorgang, der früher internationale Empörung ausgelöst hätte. Er erinnert sich an viele Fälle einzelner Abrisse, doch ein kompletter Dorfabriss sei außergewöhnlich und alarmierend.
Als Anwalt steht Sfard häufig mit Betroffenen dieser Vertreibungen in Kontakt. Die Situation spiegelt eine zunehmende Eskalation wider, bei der nicht nur einzelne Gebäude zerstört werden, sondern ganze Gemeinschaften ihre Heimat verlieren. Diese Entwicklungen zeigen eine Verschärfung des Konflikts im Westjordanland sowie die Vernachlässigung dieses Themas durch Medien und Politik angesichts anderer Krisenherde.
Rechtliche möglichkeiten zur verteidigung palästinensischer rechte vor israels oberstem gerichtshof
Trotz schwieriger Rahmenbedingungen versucht Michael Sfard, seine Mandanten juristisch zu unterstützen – insbesondere vor dem Obersten Gerichtshof Israels in Jerusalem. Dort reicht er Eingaben zu grundsätzlichen wie spezifischen Fragen ein, um gegen Maßnahmen wie Zwangsräumungen oder Beschlagnahmungen vorzugehen.
Ein aktuelles Beispiel ist sein Einsatz für einen Mandanten im nördlichen Jordantal: Siedler hatten dessen Kuhherde beschlagnahmt mit Verweis auf fehlende Genehmigungen vom örtlichen Gemeinderat. Der Oberste Gerichtshof hob diese Maßnahme zunächst auf; es wird erwartet, dass bald ein Urteil folgt, das die Autorität solcher Siedlerräte gegenüber Palästinensern grundsätzlich infrage stellt.
Allerdings sind solche Urteile nicht immer wirksam oder werden konsequent umgesetzt. Während Gemeinderäte als Teil des israelischen Staates oft Urteile respektieren müssen, gestaltet sich dies bei individuellen Fällen schwieriger – insbesondere wenn es um Durchsetzung durch Polizei oder andere Behörden geht.
Sfards Arbeit umfasst daher auch weitere rechtliche Schritte zum Schutz seiner Mandanten etwa gegen Belästigungen durch aggressive Siedler unter Berufung auf Gesetze zum Schutz vor Stalking. Trotz gerichtlicher Entscheidungen ist die tatsächliche Umsetzung oft langwierig und problematisch.
Einschränkungen bei polizeilichen maßnahmen und staatlicher unterstützung rechter gruppierungen
Die Möglichkeiten juristischer Intervention schwinden besonders deutlich beim Umgang mit Polizeigewalt oder Einschüchterungsversuchen durch Sicherheitskräfte im besetzten Gebiet sowie innerhalb Israels selbst. Seit Amtsantritt des rechtsextremen Polizeiministers Itamar Ben-Gvir hat sich das Klima verschärft: Er unterstützt öffentlich Beamte trotz Vorwürfen gegen sie – was faktisch Straflosigkeit fördert.
Ein Beispiel dafür ereignete sich am Habima-Platz in Tel Aviv: Eine Polizistin verbot Demonstrierenden Plakate gegen den Gaza-Krieg unter Androhung von Strafen – eine rechtswidrige Anordnung laut Expertenmeinung –, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen trotz medialer Kritik an diesem Vorgehen.
Diese Entwicklung erschwert nicht nur den Schutz politisch Andersdenkender, sondern signalisiert auch eine institutionelle Rückendeckung für repressive Maßnahmen gegenüber kritischen Stimmen innerhalb Israels selbst sowie gegenüber Palästinensern unter Besatzungsherrschaft.
Verfahren am obersten gerichtshof zu kriegsverbrechen während des gazakriegs
Internationale Gerichte diskutieren intensiv über mögliche Kriegsverbrechen Israels während des Gaza-Konflikts; parallel dazu finden Verfahren am Obersten Gerichtshof statt – allerdings häufig ohne zeitnahe Entscheidungen oder Anhörungen wichtiger Beschwerden.
So reichte Michael Sfard Ende Mai Klage für drei Soldaten ein gegen neue Regierungsanordnungen zur „Mobilisierung“ beziehungsweise „Konzentration“ ziviler Bevölkerungsteile im Gazastreifen-Süden ein — Praktiken klar völkerrechtlich verboten nach Genfer Konventionen als Kriegsverbrechen beziehungsweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Trotz Dringlichkeit wurde kein Termin festgelegt; Kritiker beklagen mangelnde Reaktionsbereitschaft seitens Justizbehörden angesichts schwerwiegender Vorwürfe. Dies zeigt einerseits formale Anerkennung solcher Beschwerden, andererseits aber faktisches Ignorieren ihrer Bedeutung.
Solche Verzögerungen werfen Fragen nach Unabhängigkeit, Rechtsstaatlichkeit sowie politischem Einfluss innerhalb Israels gerade bei sensiblen Themen rund um militärisches Handeln auf.
Politische richtungswechsel am obersten gerichtshof beeinflussen urteilspraxis gegenüber palästinensern
Der Oberste Gerichtshof erlebt aktuell personelle Veränderungen zugunsten rechter Richter, welche offen Regierungspolitiken unterstützen. Einige Richter scheuen zudem Konfrontationen aus Angst vor weiteren Angriffen der Regierung Netanjahu, welche bereits versuchte, das Gericht auszuhöhlen.
Diese Dynamik führt dazu, dass kritische Verfahren bezüglich Palästinenserthemen erschwert werden. Gleichzeitig hält sich hartnäckig das Narrativ eines angeblich linkslastigen Gerichts — obwohl dies widersprüchlich erscheint angesichts vieler Urteile zugunsten staatlicher Interessen.
International genießt die israelische Justiz zwar Anerkennung wegen Korruptionsbekämpfung; jedoch zeigt sie bei Fällen mit Bezug zu Palästina oft Zurückhaltung bis hin zur Regimetreue. Dieses ambivalente Bild beschreibt Michael Sfard treffend als „Doktor Jekyll und Mister Hyde“.
Beispielhaft verweist er darauf, wie Familien verschwundener junger Palästinenser keine Auskunft vom höchsten Gericht erhalten haben — etwas Unvorstellbares noch vor zehn Jahren. Formalitäten dienen meist als Begründung; praktische Hilfe bleibt aus.
Herausforderungen für junge menschenrechtsanwälte angesichts wachsender bedrohungen
Der juristische Nachwuchs sieht sich zunehmend Abschreckungsversuchen konfrontiert: Anwälte wie Michael Sfard erfahren Belästigungen bis hin zu Einschüchterungsversuchen direkt am Eingang zum Obersten Gerichtshof. Rechte Aktivisten filmen sie provokativ oder beschimpfen sie verbal als Verräter.
Sfards Appell an das Gericht forderte Respektierung demokratischer Meinungsfreiheit außerhalb, aber nicht innerhalb von Gerichten zwecks Wahrnehmung beruflicher Pflichten. Eine geplante Anhörung hierzu wurde kurzfristig wegen aktueller Krisen abgesagt – was symbolisch wirkt für eingeschränkte Handlungsspielräume gerade jetzt.
Diese Entwicklungen mindern Motivation vieler junger Juristen, sich weiterhin mutig für Rechte von Palästinensern einzusetzen. Die Kombination aus gesellschaftlichem Druck, politischem Gegenwind sowie institutionellen Hürden schafft erhebliche Barrieren beim Kampf um Gerechtigkeit unter komplexesten Bedingungen.