Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Michael O’Flaherty, hat Bundesinnenminister Alexander Dobrindt scharf für den Umgang der deutschen Behörden mit den Protesten zum Gazakonflikt kritisiert. Insbesondere die Berliner Polizei steht wegen angeblich exzessiver Gewaltanwendung gegen Demonstranten in der Kritik. Die Debatte zeigt Spannungen zwischen Sicherheitsinteressen und Versammlungsfreiheit sowie die gesellschaftlichen Folgen für Menschen mit Migrationshintergrund.
Brief des menschenrechtskommissars und reaktion des bundesinnenministeriums
Anfang Juni erreichte Alexander Dobrindt ein Schreiben von Michael O’Flaherty, dem Menschenrechtskommissar des Europarates. Das Schreiben beginnt höflich mit „Dear Minister“, doch schon bald wird die Tonlage deutlich schärfer: O’Flaherty prangert den Umgang deutscher Innenbehörden mit Protesten im Zusammenhang mit dem Gazastreifen an. Besonders hebt er Berichte über „exzessive Polizeieinsätze“ gegen Demonstranten hervor – vor allem in Berlin. Diese Kritik wirkt ungewöhnlich hart für einen demokratischen Rechtsstaat wie Deutschland.
Die Antwort aus dem Bundesinnenministerium kam prompt von Staatssekretär Bernd Krösser. Er betonte, dass Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland ein elementares Rechtsgut seien. In Berlin seien seit Beginn der Eskalation im Nahostkonflikt nur wenige propalästinensische Versammlungen untersagt worden – eine einstellige Zahl, so Krösser wörtlich: „Ich habe keinerlei Zweifel, dass die Berliner Behörden verhältnismäßig handeln.“
Diese Darstellung steht jedoch im Widerspruch zu zahlreichen Berichten über Polizeigewalt bei Demonstrationen sowie zu Gerichtsentscheidungen, welche Verbote aufheben oder einschränken. Die Debatte verdeutlicht das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheitsmaßnahmen einerseits und Grundrechten andererseits.
Eskalation bei protesten in berlin und auswirkungen auf migrantische gemeinschaften
In Berlin leben die größte palästinensische Gemeinde Deutschlands sowie zahlreiche weitere Migrantengruppen arabischer Herkunft. Seit dem 7. Oktober 2023 wurden dort weit über ein Dutzend propalästinensischer Kundgebungen verboten – entgegen der Darstellung des Staatssekretärs also deutlich mehr als nur einige wenige Veranstaltungen.
Der Staatsrechtler Clemens Arzt, langjähriger Ausbilder von Polizisten im Polizei- und Ordnungsrecht, beobachtet seit Monaten eine zunehmende Härte bei polizeilichen Einsätzen gegen diese Demonstrationen: „Es gibt diese überbordende Gewalt der Polizei, diese Schläge ins Gesicht; das ist entgrenzte Gewalt.“ Er beschreibt eine neue Eskalationsdynamik nach einem Muster: Sobald bestimmte Parolen wie „From the river to the sea“ als Propagandadelikte eingestuft werden, greift die Polizei sofort robust durch – was häufig zu Auseinandersetzungen führt.
Frühere und gegenwärtige strategie in berlin
Früher setzte Berlin bei gewaltsamen Protesten eher auf Deeskalation; heute dominiert Konfrontation auch gegenüber Studierenden an Universitäten oder friedlichen Teilnehmern an Mahnwachen wie am Nakba-Tag zur Erinnerung an die Vertreibung Palästinas.
Diese restriktive Linie führt dazu, dass sich viele Menschen arabischer Herkunft pauschal als Hamas-Sympathisanten stigmatisiert fühlen – unabhängig davon, ob sie tatsächlich politisch aktiv sind oder nicht.
Politische linien in berlin zwischen sicherheitspolitik und akademischem protest
Nach dem Überfall der Hamas auf Israel verschärfte insbesondere der CDU-geführte Senat Berlins seine Haltung gegenüber propalästinensischen Protesten drastisch: Fast jede zweite angemeldete Kundgebung wurde verboten oder geräumt; Händler entfernten aus Angst Palästina-Fahnen aus ihren Geschäften; Schüler durften keine Kufija-Tücher tragen oder öffentlich nicht mehr über den Nahost-Konflikt sprechen.
Auch Universitäten gerieten unter Druck: Während einige Hochschulpräsidentinnen zunächst Dialog suchten etwa bei Hörsaalbesetzungen oder Camp-Räumungen , griffen Landesregierung und Bundesregierung massiv durch – etwa durch öffentliche Kritik von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger gegenüber Akademikerinnen oder Anweisungen zur Polizeiräumung unter Beteiligung von Senatorin Ina Czyborra sowie Regierendem Bürgermeister Kai Wegner .
Die Folge war eine Polarisierung innerhalb akademischer Kreise ebenso wie innerhalb breiter Bevölkerungsschichten Berlins zwischen Forderung nach Sicherheitsschutz jüdischer Einrichtungen einerseits und Wahrnehmung staatlicher Repression gegenüber palästinensischen Sympathisanten andererseits.
Antisemitismusstatistik versus reale gewaltlage in berlin nach oktober 2023
Ende 2024 lagen offizielle Zahlen vor: In Berlin wurden 1 451 antisemitische Delikte registriert – fast dreimal so viele wie im Vorjahr . Besonders stark stiegen Propagandadelikte um verfassungswidrige Symbole terroristischer Organisationen von 44 auf 531 Fälle an; Gewalthandlungen dagegen gingen leicht zurück .
Gerichte sprachen Beschuldigte dieser Delikte jedoch immer wieder frei unter Verweis darauf, dass Äußerungen oft als Solidaritätsbekundung interpretiert werden müssten statt als Unterstützung terroristischer Gruppen .
Trotzdem hält sich medial das Bild großer Bedrohung durch zehntausende sogenannte Judenhasser hartnäckig . Tatsächlich gehen Gewaltausbrüche meist nur von kleinen Gruppen radikaler Aktivisten aus .
Diese Diskrepanz erschwert sachliche Diskussionen erheblich angesichts eines gesellschaftlichen Klimas wachsender Unsicherheit sowohl jüdischer Gemeinden als auch migrantischer Communities gleichermaßen.
Gesellschaftliche spannungen ohne empathie erschweren dialog in berlin
Vor dem Hintergrund brutaler Kriegshandlungen Israels im Gazastreifen hat sich laut Umfragen auch hierzulande die Stimmung verändert: Nur noch rund 13 Prozent unterstützen Israels Vorgehen aktuell offen; selbst konservative Politiker äußern inzwischen deutliche Kritik am israelischen Militärhandeln.
In diesem Klima bleibt das Leid vieler Zivilist*innen aber oft Nebensatz politischer Statements während symbolpolitisch weiter Flaggen Israels wehen etwa vor dem Roten Rathaus in Berlin ohne sichtbare Anerkennung humanitärer Notlagen Gazaer Bevölkerungsteile.
Protestforscher Jannis Julien Grimm vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung betont fehlenden Dialog beider Seiten trotz hoher Konfliktdynamiken: „Es fehlt nicht nur Empathie sondern jeglicher Versuch gegenseitigen Verstehens.“ Dabei sei gerade die palästinensische Community strukturell benachteiligt gegenüber Staatseinrichtungen:
Migrantische Gemeinschaften bis zum Späti-Besitzer fühlen sich nicht mehr als normale Mitbürger wahrgenommen, sagt Grimm weiter.* Sie gelten zunehmend pauschal als potenzielle Hamas-Sympathisanten.*
Folge sei eine soziale Isolation vieler Betroffener innerhalb ihrer Stadtteile – Demonstrationen würden zum letzten Ort sozialer Anerkennung ihres Schmerzes werden.*
Grimms Einschätzung deckt sich mit O’Flahertys Warnung vor einer sehr weiten Definition antisemitischer Handlungen seitens deutscher Behörden – dies führe dazu, legitime Israelkritik teilweise pauschal zu kriminalisieren.*
Wissenschaftler berichten zudem zunehmend über Hassmails bis hin zu Sachbeschädigungen gegen Forschende kritisch zur israelischen Politik Stellung nehmender Personen.*