Musikfestivals gelten für viele als Höhepunkte des Sommers. Für Menschen mit Behinderung stellen sie jedoch oft besondere Herausforderungen dar. Das Hurricane-Festival in Scheeßel zeigt, welche Maßnahmen zur Barrierefreiheit umgesetzt werden und wo noch Verbesserungsbedarf besteht.
Barrierefreiheit am hurricane-festival: praktische lösungen für menschen mit behinderung
Das Hurricane-Festival in Scheeßel zieht jährlich rund 80 000 Musikfans an. Für Menschen mit Behinderung gibt es dort ein eigenes Camp direkt am Festivalgelände, um lange Wege zu vermeiden. Dieses Camp ist mit Stromanschlüssen für technische Hilfsmittel ausgestattet und bietet Kühlmöglichkeiten für Medikamente sowie barrierefreie Sanitäranlagen. Ehrenamtliche „Welcome“-Teams unterstützen die Besucher beim Aufbau ihrer Zelte.
Neu im Jahr 2025 ist das Projekt „Festival-Assist“. Über ein Online-Portal konnten sich Menschen mit Behinderung anmelden, die eine Begleitung benötigen. Ehrenamtliche „Festival-Buddies“ übernehmen diese Aufgabe vor Ort und begleiten ihre Schützlinge während des Festivals.
Trotz dieser Angebote betont Benno Birner, Veranstalter bei FKP Scorpio, dass eine vollständige Barrierefreiheit auf einem Open-Air-Festival kaum realisierbar sei. Die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen führt dazu, dass bei Regen aufgeweichter Boden zum Hindernis wird – insbesondere für Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer.
In den letzten Jahren rückten auch sogenannte unsichtbare Behinderungen stärker ins Bewusstsein der Veranstalter. Mithilfe der Festival-Buddies sollen nun mehr Menschen erreicht werden, die beispielsweise Autismus haben oder andere nicht sichtbare Einschränkungen erleben.
Herausforderungen bei inklusion auf outdoor-festivals: wetterbedingungen und unsichtbare behinderungen
Die meisten großen Musikfestivals finden unter freiem Himmel statt – oft auf temporär genutzten Flächen wie Feldern oder Wiesen. Diese Umgebung bringt spezifische Barrieren mit sich: Bei schlechtem Wetter verwandelt sich der Boden schnell in Matsch oder Schlamm, was Mobilitätshilfen stark einschränkt.
Neben physischen Hindernissen gibt es zahlreiche unsichtbare Beeinträchtigungen wie sensorische Überempfindlichkeiten oder kognitive Einschränkungen, die den Festivalbesuch erschweren können. Das Hurricane-Festival reagiert darauf durch spezielle Unterstützungsangebote wie das Buddy-System sowie angepasste Infrastruktur im Behindertencamp.
Wandel im verständnis von inklusion
Diese Maßnahmen zeigen einen Wandel im Verständnis von Inklusion: Nicht nur Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer profitieren davon, sondern auch Personen mit Autismus-Spektrum-Störungen oder anderen neurodiversen Bedingungen erhalten gezielte Hilfe.
Dennoch bleibt die Umsetzung komplex: Die offene Gestaltung eines Festivals widerspricht teilweise dem Bedürfnis nach klaren Strukturen und Rückzugsmöglichkeiten für Betroffene unsichtbarer Beeinträchtigungen.
Kommunikation als schlüssel
Der gemeinnützige Verein „Inklusion muss laut sein“ setzt sich seit drei Jahrzehnten dafür ein, Feiern inklusiver zu gestalten. Dessen Vertreter Ron Paustian, selbst betroffen von einer Behinderung, betont die Bedeutung guter Kommunikation zwischen Veranstaltern und Gästen:
„Gute Kommunikation ist das Wichtigste.“
Er fordert umfassende Informationen bereits vor dem Festivalbesuch – etwa zur Anfahrtssituation, zum Geländeaufbau oder zu Lichteffekten auf Bühnen –, damit Betroffene eigenständig entscheiden können, ob sie teilnehmen möchten beziehungsweise welche Unterstützung sie benötigen könnten.
Paustian weist darauf hin, dass viele Bedürfnisse individuell verschieden sind; deshalb sollten Veranstalter flexibel reagieren können und klare Ansprechpartner bereitstellen. Nur so lasse sich Inklusion nachhaltig verbessern ohne pauschale Lösungen aufzuzwingen.
Die Bereitstellung detaillierter Informationen trägt dazu bei, Unsicherheiten abzubauen sowie Ängste vor unvorhergesehenen Situationen zu minimieren – besonders wichtig bei sensorischen Belastungen durch Licht- oder Soundeffekte während Konzerten.
Unterschiede zwischen festivals: fortschritte trotz pandemiebedingter rückschläge
Rückblickend hat sich laut Paustian innerhalb von zwanzig Jahren einiges verbessert:
„Von null auf einigermaßen erträglich.“
Als positive Beispiele nennt er das Wacken Open Air in Schleswig-Holstein sowie das Berliner Lollapalooza-Festival und das Münchner Superbloom-Event. Dort existieren geschulte Ansprechpersonen vor Ort; asphaltierte Wege erleichtern Mobilität; zudem ermöglichen unkomplizierte Anreisemöglichkeiten einen besseren Zugang für alle Besucherinnen und Besucher unabhängig von ihren körperlichen Voraussetzungen.
Allerdings führten finanzielle Engpässe infolge der Corona-Pandemie dazu, dass viele Festivals ihre Barrierefreiheitsmaßnahmen zurückfahren mussten – aus Kostengründen wurden Unterstützungsangebote reduziert oder ganz eingestellt.
Da zahlreiche Festivalveranstalter privatwirtschaftlich organisiert sind, fehlt häufig der Zugang zu öffentlichen Fördermitteln speziell für inklusive Projekte; dies erschwert nachhaltige Investitionen erheblich.
Gesetzliche grundlagen fehlen trotz verpflichtung zur kulturellen teilhabe
Organisationen wie „Inklusion muss laut sein“ sowie „Barrierefrei Feiern“ fordern seit Jahren verbindliche Standards zur Barrierefreiheit bei Kulturveranstaltungen in Deutschland. Während Menschen mit Behinderungen zunehmend sichtbarer werden, bleibt Deutschland im europäischen Vergleich hinter anderen Ländern zurück – so erklärt es Franziska Lammers von Barrierefrei Feiern:
Mit Artikel 30 der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtete sich Deutschland bereits 2009 dazu,
„die Teilhabe am kulturellen Leben sowie Erholung Freizeit und Sport“
zu fördern. Dennoch lässt dieser Artikel Interpretationsspielraum offen; konkrete gesetzliche Vorgaben fehlen bislang weitgehend.
Lammers sieht daher dringenden Bedarf an bundesweit gültigen Regelwerken als Orientierungshilfe sowohl für Betroffene als auch Veranstalter gleichermaßen:
Einheitliche Gesetze würden Planungssicherheit schaffen, helfen Kosten kalkulierbar machen zugleich aber auch Rechte stärken.
Diese Rahmenbedingungen könnten langfristig dafür sorgen,
dass inklusive Angebote nicht nur punktuell sondern flächendeckend etabliert werden.
Damit bliebe Festivals feiern künftig allen zugänglich unabhängig von individuellen Einschränkungen.
Eine solche Entwicklung wäre entscheidend, um kulturelle Teilhabe tatsächlich gerecht umzusetzen.