Der Nato-Gipfel 2024 in Den Haag stand im Zeichen neuer Verteidigungsziele und der Bekräftigung transatlantischer Bündnisse. Trotz kurzer Dauer wurden wichtige Beschlüsse zu Verteidigungsausgaben, Sicherheitsverpflichtungen und der Unterstützung der Ukraine gefasst.
Gipfelverlauf und arbeitsprogramm in den haag
Der diesjährige Nato-Gipfel in Den Haag wird als einer der kürzesten Treffen der vergangenen Jahrzehnte gelten. Nach einem gemeinsamen Festessen am Abend des 10. Juni fand am Folgetag lediglich eine zweieinhalbstündige Arbeitssitzung statt, die das zentrale Programm bildete. Die kurze Dauer spiegelte die klare Fokussierung auf wesentliche Themen wider, ohne umfangreiche Debatten oder zusätzliche Sitzungen.
Die Teilnehmerzahl umfasste alle 32 Mitgliedsstaaten des Bündnisses, deren Staats- und Regierungschefs sowie hochrangige Vertreter anwesend waren. Im Gegensatz zu früheren Gipfeln wurde keine separate Sitzung des Nato-Ukraine-Rates einberufen, was auf eine veränderte Priorisierung hindeutet. Die Tagesordnung konzentrierte sich vor allem auf finanzielle Verpflichtungen zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit sowie auf politische Bekenntnisse zur Allianz.
Das Treffen begann mit einer festlichen Veranstaltung am Abend des ersten Gipfeltages, bei dem die Delegationen Gelegenheit zum informellen Austausch hatten. Am folgenden Tag standen dann konkrete Beratungen über die Abschlusserklärung im Mittelpunkt. Diese Erklärung wurde von allen Alliierten einstimmig angenommen und enthält neue Zielvorgaben für Verteidigungsausgaben sowie eine klare Bekräftigung gemeinsamer Sicherheitsprinzipien.
Insgesamt zeichnete sich das Gipfeltreffen durch Effizienz aus: Trotz seiner Kürze wurden bedeutende Entscheidungen getroffen, die langfristige Auswirkungen auf die strategische Ausrichtung der NATO haben werden.
Neues verteidigungsziel: fünf prozent des bip bis 2035
Ein zentrales Ergebnis des Gipfels ist das neue Ziel für Verteidigungsausgaben aller Mitgliedsstaaten: Bis spätestens zum Jahr 2035 sollen jährlich fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in grundlegende Verteidigungserfordernisse sowie sicherheitsbezogene Ausgaben investiert werden. Dieses Ziel ersetzt das bisher geltende Zwei-Prozent-Ziel aus früheren Jahren und stellt eine erhebliche Erhöhung dar.
Die Abschlusserklärung betont ausdrücklich: „Angesichts tiefgreifender Bedrohungen und Herausforderungen für die Sicherheit verpflichten sich die Alliierten, bis spätestens 2035 jährlich fünf Prozent des BIP in grundlegende Verteidigungserfordernisse sowie verteidigungs- und sicherheitsbezogene Ausgaben zu investieren.“ Dabei soll mindestens ein Anteil von 3,5 Prozent ausschließlich für klassische Militärausgaben verwendet werden.
Neu ist auch die erweiterte Definition dessen, was als verteidigungsrelevante Ausgaben gilt: Neben klassischen Rüstungsgütern zählen künftig auch Investitionen zur Terrorismusbekämpfung oder militärisch nutzbare Infrastruktur dazu. Beispiele hierfür sind Bahnstrecken mit Panzertauglichkeit, verstärkte Brückenbauwerke oder erweiterte Hafenanlagen – Maßnahmen also, welche logistische Flexibilität erhöhen können.
Diese Anpassung reflektiert den Wandel moderner Sicherheitsbedrohungen sowie infrastrukturelle Anforderungen im Bündnisgebiet. Durch diese breitere Anrechnungsmöglichkeit können Staaten ihre Beiträge flexibler gestalten ohne allein auf konventionelle Rüstungsausgaben fokussieren zu müssen.
Das neue Fünf-Prozent-Ziel signalisiert einen deutlichen Willen zur Stärkung kollektiver Sicherheit angesichts globaler Unsicherheiten wie geopolitischer Spannungen oder hybrider Bedrohungslagen – ein Schritt weit über frühere Vereinbarungen hinausgehend.
Definition sicherheitsrelevanter ausgaben
Die neue Definition umfasst neben militärischen Investitionen auch Infrastruktur, die im Krisenfall von strategischer Bedeutung sein kann. „Logistische Flexibilität ist entscheidend für die Anpassungsfähigkeit der Bündnisverteidigung,“ heißt es in internen Kommentaren von Mitgliedstaaten.
Bekenntnis zum artikel 5 stärkt transatlantisches bündnis
Ein weiterer Schwerpunkt lag auf dem Bekenntnis zur Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des Nato-Vertrags – dem Kernprinzip gegenseitiger Unterstützung bei Angriffen gegen Mitgliedsstaaten. Insbesondere vor dem Hintergrund politischer Unsicherheiten war unklar geblieben, ob alle Partner dieses Prinzip weiterhin uneingeschränkt unterstützen würden.
In der abschließenden Erklärung heißt es daher ausdrücklich: „Wir, die Staats- und Regierungschefs der Nordatlantischen Allianz sind in Den Haag zusammengekommen, um unser Bekenntnis zur NATO – der stärksten Allianz der Geschichte – und zum transatlantischen Bündnis zu bekräftigen.“ Dieses Statement unterstreicht Einigkeit zwischen Europa und Nordamerika trotz unterschiedlicher innenpolitischer Entwicklungen einzelner Mitgliedsstaaten wie den USA unter Präsident Trump zuvor.
Weiter wird betont: „Wir bleiben geeint und entschlossen darin, unsere rund eine Milliarde Bürgerinnen und Bürger in den Bündnisstaaten wirksam zu schützen.“ Damit wird nicht nur Solidarität versichert; es handelt sich zugleich um ein Signal an potenzielle Gegner über Stabilität innerhalb des Militärbündnisses trotz globaler Herausforderungen wie Cyberangriffen oder regionaler Konflikte weltweit.
Dieses klare Bekenntnis stärkt das Vertrauen innerhalb Europas ebenso wie gegenüber externen Partnern außerhalb Europas – etwa gegenüber Ländern im Indo-Pazifik-Raum –, denen NATO-Mitglieder gemeinsame Werte zuschreiben wollen beziehungsweise mit denen sie kooperieren möchten.
Unsichere perspektiven für ukrainische unterstützung beim gipfel
Im Gegensatz zu früherer Praxis fand während dieses Gipfels keine Sitzung speziell mit Beteiligung ukrainischer Vertreter statt; Präsident Wolodimir Selenskij war nicht anwesend. Das Thema Ukraine wurde dennoch angesprochen – allerdings nur indirekt im Rahmen allgemeiner Diskussion über Verteidigungsausgaben aller Mitgliederstaaten ohne detaillierte Zusagen neuer Hilfen oder Strategien vor Ort anzukündigen.
Im Textentwurf für die Abschlusserklärung findet sich lediglich folgende Formulierung: „Die Alliierten bekräftigen ihre dauerhaften souveränen Verpflichtungen zur Unterstützung der Ukraine; deren Sicherheit trägt wesentlich auch zu unserer eigenen bei.“ Diese Aussage bleibt bewusst vage hinsichtlich Umfangs konkreter Maßnahmen oder Zeitpläne zukünftiger Hilfeleistungen seitens NATO-Staatengemeinschaft.
Diese Zurückhaltung könnte Ausdruck komplexer geopolitischer Erwägungen sein angesichts fortdauernder Konflikte zwischen Russland und Ukraine sowie divergierender Positionierungen einzelner Mitgliedsländer bezüglich direkter militärischer Unterstützung versus diplomatischer Lösungsansätze.
Zudem spiegelt sie möglicherweise interne Differenzen wider hinsichtlich Art, Umfang, Finanzierung bzw. Risikoabschätzung künftiger Engagements. Der Verzicht darauf, einen eigenen Nato-Ukraine-Rat einzuberufen, verdeutlicht zudem, dass dieser Gipfel primär defensive Konsolidierung priorisierte statt offensivere Schritte zugunsten Kiews.
Damit bleibt offen, wie konkret bzw. nachhaltig künftige Unterstützungsmaßnahmen aussehen werden. Beobachter erwarten weitere Beratungen bei kommenden Treffen; bislang jedoch dominieren vorsichtige Formulierungen ohne verbindliche Zusagen.
Dieser Umstand zeigt exemplarisch aktuelle Herausforderungen innerhalb eines multilateralen Militärbündnisses: Einerseits besteht Einigkeit gegen äußere Bedrohung; andererseits erschweren unterschiedliche nationale Interessen abgestimmtes Vorgehen gerade dort, wo Krisengebiete betroffen sind.