Das neue Album der neuseeländischen Sängerin Lorde erscheint am 27. Juni und gilt als ihr persönlichstes Werk. Mit „Virgin“ verarbeitet sie Themen wie Beziehungsende, Essstörung und Genderfluidität in einer Mischung aus introspektiven Texten und experimentellen Klängen.
Lorde zwischen verletzlichkeit und kreativem mut
Der Veröffentlichungstag des vierten Albums „Virgin“ stellt für Lorde einen bedeutenden Einschnitt dar. In zahlreichen Interviews hat die 28-Jährige ihre Angst vor der Offenlegung ihrer tiefsten Gefühle betont. Das Album ist roh, verletzlich und zeigt eine Seite von ihr, die bislang kaum öffentlich wurde. Für die Musikerin gibt es kein Zurück mehr – sie stellt sich radikal ehrlich ihrer eigenen Geschichte.
„Virgin“ beschreibt Lorde selbst als eine Art Wiedergeburt. Die Künstlerin ist seit ihrem Durchbruch mit dem Hit „Royals“ bekannt für ihre introspektiven Texte, doch diesmal geht sie noch weiter: Sie verarbeitet das Ende ihrer letzten Beziehung ebenso wie den Kampf gegen ihre Essstörung sowie Fragen zu ihrer Genderidentität. Diese Themen sind eng miteinander verwoben und prägen das gesamte Album.
Bereits im Remix zu Charli XCXs Song „Girl, so confusing“ zeigte sich diese neue Offenheit deutlich: Während Charli im Original über Rivalität singt, antwortet Lorde auf dem Remix mit einer ehrlichen Umarmung statt eines Diss-Tracks – ein ungewöhnlicher Schritt in Songs über weibliche Konkurrenz.
Trip-, therapie- und transformationsprozesse bei der albumentstehung
Im Entstehungsprozess von „Virgin“ spielten laut einem Interview mit dem Magazin Rolling Stone auch Erfahrungen mit MDMA und Psilocybin eine zentrale Rolle für Lorde’s kreative Entwicklung. Diese Substanzen halfen ihr offenbar dabei, alte Muster abzulegen: Die Jahre des Sich-Kleinmachens seien vorbei; nun erlaube sie sich Raum einzunehmen – sowohl physisch als auch künstlerisch.
Auch ihre Genderidentität habe sich erweitert; dies spiegelt sich besonders in der Single „Man of the Year“. Während frühere Alben stark auf lyrische Inhalte setzten, lag diesmal ein Fokus auf Rhythmus und Körperansprache – erst sollte der Körper reagieren, dann das Gehirn folgen.
Die elf Songs klingen weniger nach klassischem Pop oder Partyhits als vielmehr nach deren Dekonstruktion: Komplexe Beats treffen auf experimentelle Soundschichten. Das Coverbild illustriert diese Intimität eindrucksvoll: Ein Röntgenbild eines weiblichen Beckens zeigt neben Gürtelschnalle und Reißverschluss auch eine Spirale in der Gebärmutter – ein Symbol für Verletzlichkeit gepaart mit Stärke.
Musikalische vielschichtigkeit zwischen tanzbarkeit und avantgarde
Trotz aller Verletzlichkeit bietet das Album einige tanzbare Momente wie den Track „What Was That“, dessen Zwillingstitel „Broken Glass“ Fans von Charli XCX ansprechen dürfte. Doch insgesamt nimmt sich Virgin mehr Freiraum heraus als üblich bei Tanzmusik; viele Stücke wirken eher experimentell denn eingängig.
Beispielsweise erinnert ein Frickelbeat aus dem Song „Shapeshifter“ an den britischen Produzenten Burial; zudem lassen sich Gitarrenspuren à la Joy Division im Titelstück „Current Affairs“ heraushören. Solche Elemente fordern vom Hörer Aufmerksamkeit statt bloßer Hintergrundbeschallung beim Feiern oder Tanzen unter Nebelmaschinenlicht.
Diese Mischung passt zum Konzept des Albums: Es ist kein Soundtrack zum Vollrausch sondern zur reflektierten Selbstbegegnung unter Freunden oder Fremden gleichermaßen – Momente also, die tiefer verbinden können als jede Partyexzess-Erfahrung zuvor.
In diesem Sinne steht Virgin für einen neuen Sommer-Sound von Lorde, fernab früherer Hits wie Brat. Wer schon einmal nüchtern vor jemandem geweint hat weiß um jene besondere Nähe ohne Alkoholzwang – genau diese Atmosphäre vermittelt das Album seinen Hörern eindrücklich durch Tracks wie etwa „Clearblue“, wo Lorde fast flüsternd Freiheit besingt: „Free, I’m Free.“