Die Human Library ermöglicht seit 25 Jahren den direkten Dialog zwischen Menschen mit unterschiedlichen Lebensgeschichten und Besuchern. In Hamburg engagieren sich Ehrenamtliche, um Vorurteile durch persönliche Gespräche abzubauen.
Das konzept der human library und seine entwicklung
Die Human Library wurde vor einem Vierteljahrhundert von Ronni Abergel in Kopenhagen ins Leben gerufen. Die Idee dahinter ist einfach und wirkungsvoll: Menschen, die oft mit gesellschaftlichen Vorurteilen konfrontiert sind, stellen sich als sogenannte „menschliche Bücher“ zur Verfügung. Besucher können diese Bücher „ausleihen“ und im Rahmen eines festgelegten Zeitfensters persönliche Gespräche führen. Ziel ist es, durch den direkten Austausch Berührungsängste abzubauen und Verständnis zu fördern.
Das Konzept hat weltweit Verbreitung gefunden: In mittlerweile 85 Ländern existieren Ableger der Human Library. Dabei bleibt das Grundprinzip stets gleich – ein offener Dialog ohne Tabus oder Einschränkungen bei den Fragen soll Vorurteile aufbrechen. Die Themen reichen von psychischen Erkrankungen über sexuelle Orientierung bis hin zu kulturellen Identitäten oder sozialen Herausforderungen.
In Hamburg wird die Human Library seit 2022 ehrenamtlich von Shirley Hartlage und Katharina Bloemberg organisiert. Sie koordinieren sowohl die Auswahl der menschlichen Bücher als auch die Durchführung der Veranstaltungen vor Ort. Die Teilnehmer treffen sich an einer Pinnwand, an der Schlagworte wie „Pansexuell“, „Spielsüchtig“ oder „Schwarz“ hängen – diese Begriffe symbolisieren die verschiedenen Geschichten hinter den Büchern.
Das Konzept lebt vom gegenseitigen Respekt sowie dem Willen zur Offenheit auf beiden Seiten – sowohl bei den menschlichen Büchern als auch bei den Besuchern.
Persönliche gespräche im lesegarten: angststörung als beispiel
Ein typisches Szenario in der Hamburger Human Library spielt sich im sogenannten Lesegarten ab, wo kleine Tische für vertrauliche Gespräche bereitstehen. Dort sitzt beispielsweise das Buch „Angststörung“, verkörpert von Anja Seidemann, bereit für eine Ausleihe von 30 Minuten Dauer.
Besucherin Constanze Struck entscheidet sich bewusst für dieses Thema, da sie bisher wenig Erfahrung damit hat – ihre Freundin leidet unter Panikattacken, was ihr Interesse weckt. Anja erklärt offen ihre persönlichen Erfahrungen mit Angststörungen sowie deren Auswirkungen auf ihren Alltag etwa beim Einkaufen oder Reisen mit dem Flugzeug.
Während des Gesprächs ermutigt Anja Constanze dazu, alle Fragen zu stellen – ein zentraler Aspekt des Formats ist es nämlich, dass grundsätzlich jede Frage erlaubt ist. Diese Offenheit erleichtert es vielen Besuchern erheblich gegenüber einem vertrauten Umfeld über sensible Themen zu sprechen.
Organisatorin Katharina Bloemberg betont diesen Vorteil: „Gerade bei so persönlichen Themen fällt das Gespräch mit fremden Menschen oft leichter als mit Freunden oder Familie.“ Das vertrauensvolle Setting unterstützt beide Seiten dabei, Hemmschwellen abzubauen und neue Perspektiven einzunehmen.
Die menschlichen Bücher erhalten vor ihrem Einsatz eine sorgfältige Vorbereitung inklusive Test-Gesprächen unter Anleitung einer Therapeutin wie Shirley Hartlage selbst. So wird gewährleistet, dass sie ihre emotionalen Grenzen kennen und professionell auf schwierige Situationen reagieren können.
Motivation hinter dem engagement: veränderung durch dialog
Für viele menschliche Bücher steht neben dem Wunsch nach Aufklärung auch eine persönliche Entwicklung im Vordergrund. Der Teilnehmer René Fehrmann, bekannt als Buch zum Thema „Ossi“, beschreibt seine Motivation so: „Ich freue mich darauf Eselsohren machen zu dürfen im Nachhinein; jede Frage hilft mir dabei mich selbst besser zu verstehen.“
Diese Bereitschaft zur Selbstreflexion verbindet sich mit einem größeren Ziel – nämlich gesellschaftliches Miteinander positiv zu beeinflussen und Vorurteile langfristig abzubauen. Zwar räumen alle Beteiligten ein, dass große Veränderungen schwierig sind; doch gerade kleine Schritte auf individueller Ebene zeigen Wirkung:
Durch ehrliche Begegnungen entstehen neue Einsichten jenseits stereotypischer Vorstellungen über bestimmte Gruppen oder Lebenslagen. Das stärkt Empathie sowie gegenseitigen Respekt innerhalb einer vielfältigen Gesellschaft wie Hamburgs Stadtgesellschaft ganz konkret.
Nach Ablauf ihrer Leihfrist kehrt Anja zurück in einen Rückzugsraum speziell für menschliche Bücher; Constanze hingegen würde am liebsten sofort weitere Geschichten entdecken – doch aktuell sind alle verfügbaren Bücher ausgeliehen aufgrund großer Nachfrage an diesem Tag.