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Beflaggung in Ostdeutschland: wie schwarz-rot-gold zur politischen symbolik wird

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Die Diskussion um die dauerhafte Beflaggung öffentlicher Gebäude mit der Bundesflagge gewinnt in Ostdeutschland an Bedeutung. Insbesondere in Thüringen und Sachsen-Anhalt setzen politische Akteure die Schwarz-Rot-Gold-Fahne als Ausdruck regionaler und nationaler Identität ein, während gleichzeitig kontroverse Debatten über den Ausschluss weiterer Symbole geführt werden.

Politische entscheidungen zur dauerhaften befalgung in thüringen

Am 17. Juni 2025 beschloss das Kabinett von Thüringen, dass an allen landeseigenen Gebäuden künftig dauerhaft drei Flaggen gehisst werden sollen: die Europaflagge, die Deutschlandflagge sowie die Thüringer Landesflagge. Ministerpräsident Mario Voigt erklärte dazu:
„Damit setzen wir ein Zeichen für unsere Verankerung in Europa, unseren demokratischen Staat und unsere regionale Identität.“
Diese Entscheidung markiert eine bewusste Symbolpolitik, welche regionale Zugehörigkeit mit europäischer Integration verbindet.

Nur zwei Tage später brachte die AfD im Thüringer Landtag einen Gesetzentwurf ein, der explizit forderte, die Europaflagge auszuschließen und zudem das Hissen von Pride- oder NGO-Symbolen zu verbieten. Die Begründung lautete:
„Die dauerhafte Beflaggung soll nicht durch ideologisch motivierte Zeichen verfremdet werden.“
Die Bundesflagge solle allein staatliche Souveränität ausdrücken als
„ein deutliches Bekenntnis gegen das supranationale Projekt Europa“.
Obwohl dieser Entwurf von der AfD lange vor dem Kabinettsbeschluss angekündigt wurde, fand er keine Mehrheit im Parlament.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Andreas Bühl widersprach dieser Sichtweise deutlich. Er betonte den friedensstiftenden Charakter der Europaflagge als Symbol des gemeinsamen europäischen Projekts. Für ihn sei das Hissen aller drei Flaggen kein bloßes Symbolspiel, sondern ein sichtbares Zeichen föderaler Verbundenheit innerhalb Europas. Auch Landrat Christian Herrgott aus dem Saale-Orla-Kreis unterstrich den Wert nationaler Symbole wie Schwarz-Rot-Gold – allerdings nur dann legitimiert durch demokratische Inhalte.

Diese Entwicklungen zeigen eine klare Positionierung des Freistaats Thüringen zwischen regionalem Selbstverständnis und europäischer Einbindung sowie unterschiedliche Auffassungen über nationale Symbolik innerhalb des Landtags.

Unterschiedliche ansätze in der kommunalen selbstverwaltung

Die neue Regelung zur Dauerbeflaggung basiert auf einer Novelle der Beflaggungsverordnung in Thüringen. Das Innenministerium weist darauf hin, dass diese Verordnung ausdrücklich Rücksicht auf kommunale Selbstverwaltung nimmt: Städte und Gemeinden können nicht verpflichtet werden, ihre öffentlichen Gebäude dauerhaft zu beflaggen; sie erhalten lediglich eine Empfehlung dazu.

Neu ist dabei auch eine erleichterte Genehmigungspraxis für Kommunen: Wer dauerhaft flaggen möchte – etwa Deutschland- oder Landesfahnen –, benötigt keine gesonderte Erlaubnis mehr vom Landesverwaltungsamt. Dies kann dazu führen, dass einzelne Kommunen zwar regelmäßig Deutschland- oder Thüringenfahnen hissen, aber auf die Europafahne verzichten.

In Sachsen zeigt sich eine ähnliche Entwicklung am Beispiel des Kreises Bautzen: Dort wurde kürzlich ein Programm zur Demokratiebildung gestrichen; gleichzeitig soll vor Verwaltungsgebäuden verstärkt mit Bundesfahnen Flagge gezeigt werden. Kritiker sehen darin einen gefährlichen Tausch zwischen symbolischem Engagement und tatsächlicher Förderung demokratischer Werte – verkürzt formuliert heißt es dort „Flagge ersetzt Demokratieförderung“. Der CDU-Landrat Udo Witschas verteidigte diese Maßnahme als sichtbares Zeichen für Heimatliebe ohne weitere Erläuterungen zum Wegfall der Bildungsprogramme.

Im benachbarten Sachsen-Anhalt hat sich insbesondere im Landkreis Jerichower Land unter Einfluss der AfD-Fraktion ebenfalls eine Praxis etabliert: Dort wird seit kurzem dauerhaft vor Schulen und öffentlichen Gebäuden mit Bundesfahnen beflaggt; fünf weitere Landkreise folgten diesem Beispiel nach Zustimmung durch CDU-Mitglieder im Kreistag. Beobachter warnen vor einer schleichenden Normalisierung rechter Symbolpolitik über lokale Parlamente hinweg – oft unbemerkt von breiter Öffentlichkeit.

Diese Beispiele verdeutlichen Spannungsfelder zwischen kommunaler Autonomie bei Beflaggungsentscheidungen sowie politisch motivierten Initiativen einzelner Parteien insbesondere im Osten Deutschlands.

Gesellschaftliche reaktionen auf nationale symbolik

Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer, bekannt für seine Studien zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, bewertet diese Entwicklungen kritisch. Bereits während des Fußballsommermärchens 2006 hatte er vor einem unreflektierten „Entlastungspatriotismus“ gewarnt – einem Nationalstolz ohne historische Reflexion oder kritische Auseinandersetzung mit Nationalismusgeschichte. In einem aktuellen Interview sagte Heitmeyer:

„Was sich damals leicht und freundlich anfühlte, war im Kern oft ahistorisch.“

Er sieht heute eine Rückkehr zu einer Ausgrenzungsrhetorik hinter den Nationalfarben:

„Nationalfarben dienen wieder als Distinktionsmerkmal statt offener Identität.“

Das Verbot von Regenbogenfahnen interpretiert er als Botschaft gegen Pluralität innerhalb gesellschaftlicher Vielfalt:

„Ein Staat muss sich seiner selbst sicher sein; dann braucht er nicht täglich Flaggenmasten aufzubauen.“

Auch innenpolitische Stimmen aus dem linken Spektrum kritisieren reine Symbolpolitik scharf: Der innenpolitische Sprecher der Linken im Thüringer Landtag Ronald Hande bezeichnete Fahnenaktionen als Ablenkung von realen Problemen wie maroden Schulen oder Lehrkräftemangel:

„Weder Fahnen noch Masten sanieren unsere Schulen noch beseitigen Investitionslücken.“

Diese unterschiedlichen Perspektiven verdeutlichen gesellschaftliche Spannungen um Sinnhaftigkeit nationaler Symbole angesichts sozialpolitischer Herausforderungen sowie divergierende Vorstellungen vom Umgang mit Patriotismus heute.

Debatte um identitätspolitik am beispiel schwarz-rot-gold

Im Zentrum steht letztlich die Frage nach dem Besitzanspruch an Schwarz-Rot-Gold als Nationalsymbol Deutschlands: Gehört es einer offenen Gesellschaftsform mit pluralistischer Demokratie? Oder wird es zunehmend zum Banner geschlossener Gesellschaftsmodelle?

Während Regierungsvertreter aus CDU-geführten Ländern betonen wollen,
„Wir sollten zu unseren Nationalsymbolen stehen“,
warnen Wissenschaftler davor,
„dass Nationalfarben wieder Instrumente politischer Abgrenzung sind“.

Die aktuelle Debatte zeigt exemplarisch Konflikte darüber auf lokaler Ebene hinausgehend auch bundesweit Wirkung entfalten können – gerade wenn politische Kräfte versuchen Symbole gezielt ideologisch umzudeuten oder einzuschränken beziehungsweise andere Ausdrucksformen auszuschließen wie Pride-Fahnen etwa bei LGBTQ+-Themen.

Am Mittwochabend diskutieren Experten hierzu live bei MDR-Talkshow „Fakt Ist!“ aus Erfurt unter anderem Linke-Co-Landeschefin Katja Maurer sowie Politikwissenschaftler Andreas Anter gemeinsam mit CDU-Fraktionschef Andreas Bühl über Chancen wie Risiken solcher symbolischen Politikmaßnahmen für das Demokratieverständnis insgesamt.

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