Die Zahl der gemeldeten Diskriminierungs- und Gewalttaten gegen Sinti und Roma ist im Jahr 2024 deutlich gestiegen. Die Meldestelle für Antiziganismus dokumentierte einen erheblichen Anstieg verbaler und körperlicher Angriffe, insbesondere bei Behördenkontakten und im Bildungsbereich.
Anstieg der gemeldeten vorfälle von antiziganismus in deutschland
Im Berichtsjahr 2024 registrierte die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus insgesamt 1 678 Vorfälle, was einen deutlichen Zuwachs gegenüber den 1 233 Fällen im Jahr 2023 bedeutet. Diese Zahlen spiegeln eine besorgniserregende Entwicklung wider, wie MIA mitteilte. Etwa die Hälfte der dokumentierten Fälle – konkret 856 – betrafen verbale Stereotypisierungen. Dabei handelt es sich um antiziganistische Äußerungen, die Betroffene diffamieren oder herabwürdigen.
Neben diesen verbalen Angriffen wurden auch physische Übergriffe erfasst: Insgesamt registrierte MIA 57 Angriffe, darunter zehn Fälle extremer Gewalt mit schweren Verletzungen oder Todesfolge. Zudem gab es Berichte über Bedrohungen sowie Sachbeschädigungen . Die Kategorie „extreme Gewalt“ umfasst besonders schwere Taten, bei denen Menschen gezielt körperlich attackiert wurden.
Der Geschäftsführer von MIA, Guillermo Ruiz, wies auf eine hohe Dunkelziffer hin: „Das ist nur ein Bruchteil der tatsächlichen Vorfälle.“ Er führte den Anstieg nicht allein auf den besseren Bekanntheitsgrad der Meldestelle zurück, sondern auch auf eine zunehmend feindselige gesellschaftliche Stimmung gegenüber Sinti und Roma. „Antiziganismus ist in Deutschland Alltag“, so Ruiz weiter.
Definitionen und bedeutung des begriffs antiziganismus
Der Begriff „Antiziganismus“ wird unterschiedlich definiert. Der Duden beschreibt ihn als „Abneigung oder Feindschaft gegenüber Sinti und Roma“. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes orientiert sich an der Definition der International Holocaust Remembrance Alliance . Demnach manifestiert sich Antiziganismus sowohl in individuellen Äußerungen als auch institutionellen Praktiken wie Marginalisierung, Ausgrenzung oder physischer Gewalt gegen diese Gruppen.
Diese Form des Rassismus beinhaltet zudem Herabwürdigungen kultureller Lebensweisen sowie Hassreden gegen Personen oder Gruppen, die historisch als „Zigeuner“ stigmatisiert wurden – ein Begriff mit abwertender Konnotation. Die Bundeszentrale für politische Bildung weist darauf hin, dass dieser Terminus umstritten ist wegen seiner Fremdbezeichnung; dennoch verwenden einige Roma-Organisationen ihn bewusst zur Sichtbarmachung rassistischer Zuschreibungen unabhängig von realen Lebenswirklichkeiten.
Die Definition unterstreicht das strukturelle Problem: Sinti und Roma werden häufig als vermeintlich fremde Gruppe behandelt und mit negativen stereotypischen Bildern belegt. Diese Zuschreibungen führen zu systematischer Diskriminierung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen.
Diskriminierungserfahrungen bei behörden, bildung, wohnraum und arbeit
Fast ein Fünftel aller gemeldeten Vorfälle ereignete sich im Kontakt mit Behörden wie Polizei oder anderen staatlichen Stellen. Im Bildungsbereich wurden insgesamt 313 Vorfälle verzeichnet; hier berichtete MIA auch über Lehrkräfte, die antiziganistische Beleidigungen äußerten.
Im Wohnungsmarkt sind Diskriminierungen ebenfalls weit verbreitet: In diesem Kontext meldete die Stelle rund 295 Fälle von Benachteiligung etwa bei Wohnungssuche oder Mietverhältnissen durch Vermieterinnen beziehungsweise Vermieter beziehungsweise Nachbarschaftskonflikte aufgrund ethnischer Herkunft.
Darüber hinaus dokumentierte MIA weitere Vorkommnisse am Arbeitsplatz sowie im öffentlichen Nahverkehr wie Busse oder Bahnen – Bereiche also, in denen Menschen alltäglich Begegnungen haben können, aber oft Ausgrenzung erfahren müssen.
Insgesamt zeigt sich damit ein breites Spektrum an Diskriminierungsfeldern für Sinti– und Roma-Gemeinschaften innerhalb Deutschlands; dies verdeutlicht den tief verwurzelten Charakter des Problems auf individueller ebenso wie institutioneller Ebene.
Rechte propaganda, ns-bezug und politisches klima
In mindestens 94 Fällen war laut Bericht ein direkter Bezug zur nationalsozialistischen Vergangenheit erkennbar: So kam es zu Schmierereien rechter Propaganda an Wohnungstüren sowie Hauswänden; Friedhöfe beziehungsweise Denkmäler wurden geschändet; zudem wurde der Völkermord an Sinti und Roma entweder geleugnet oder verharmlost bis hin zur Glorifizierung durch rechtsextreme Akteure.
Ruiz kritisierte ausdrücklich politische Redebeiträge mit antiziganistischen Inhalten: Viele dieser Äußerungen seien laut ihm Vertreterinnen beziehungsweise Vertretern der Partei Alternative für Deutschland zuzuschreiben – „was das gesellschaftliche Klima zusätzlich vergifte.“
Forderung nach regionalen meldestellen zur bekämpfung von antiziganismus
Aktuell verfügt die Informationsstelle Antiziganismus über regionale Sitze in sechs Bundesländern Deutschlands. Für eine flächendeckendere Erfassung fordert Geschäftsführer Ruiz jedoch Meldestellen auch in den übrigen zehn Ländern Deutschlands einzurichten – verbunden mit einer finanziellen Beteiligung seitens dieser Länderregierungen.
Er kritisierte fehlenden politischen Willen vieler Landesregierungen bezüglich dieses Themas scharf. Als positives Beispiel nannte er Schleswig-Holstein, wo im vergangenen Jahr erfolgreich eine solche Meldestelle eröffnet wurde.
Eine bessere Vernetzung regionaler Einrichtungen könnte dazu beitragen, Betroffenen niedrigschwelliger Unterstützung anzubieten, präventiv tätig zu werden sowie gesamtgesellschaftlich stärkeres Bewusstsein für das Thema Antiziganismus zu schaffen.